"Der erste deutsche 'Großmeister' der Musik": Heinrich Fincks seltsame Missa de Beata Virgini

2021 
Die Anfange der Erforschung "alter" Musik im 19. Jahrhundert pragen Missverstandnissen und Fehldeutungen, die wiederum Ruckschlusse auf das Wissenschafts- wie Musikgeschichtsbild der ersten Forscher und Sammler zulassen. Als Beispiel dafur, das Konsequenzen sowohl fur die Deutung einer Messgattung als auch ihres Komponisten, ihrer unikaten Quelle und nicht zuletzt fur die Rolle und Bedeutung deutschsprachiger Komponisten um 1500 hatte, wird hier die Geschichte von Heinrich Fincks Entdeckung als Messkomponist am Beispiel seiner "Missa de Beata Virgine" vorgestellt. Sie gibt in ihrer dokumentarischen Substanz Anlass, uber das einzelne Werk oder dessen Kontext hinaus die Frage nach historiographischen Mechanismen, ihren Auspragungen und wirkmachtigen Definitionen zu stellen, mit denen sich die Messenforschung zur Fruhen Neuzeit noch heute auseinandersetzt. Zunachst werden Otto Kades umfangreiche Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der alten Musik insbesondere seine Beteiligung am "Projekt Ambros" (August Wilhelm Ambros' unvollendete Geschichte der Musik in vier Banden) erortert. Als zentrales Anliegen Kades wird dabei die Frage nach dem Beginn einer "deutschen" mehrstimmigen Musik, die er um 1500 datiert und unter anderem an den Werken Heinrich Isaacs und Fincks festmacht, thematisiert. Anschliesend wird das Regensburger Manuskript mit der "Missa de Beatia Virgine" untersucht, wobei zunachst Inhalt, Komponisten und Aufbau der Quelle beschrieben werden, bevor auf Provenienz und Entstehungszusammenhang der Quelle eingegangen wird. Als Ergebnis dieser Untersuchung wird festgehalten, dass die Finck zugeschriebene Messe im Gegensatz zu den ubrigen Messen des Manuskripts keine eindeutige liturgische Konnotation aufweist. Womoglich handelte es sich hier um eines der fruhesten Beispiele frei paraphrasierender, dreistimmiger Messkompositionen im deutschen Sprachgebiet um 1500. Der Quellenbefund widerlegt die These, dass diese Messe sich auf der Basis des Chorals stilistisch und kulturgeographisch von ihrem Umfeld zu "emanzipieren" trachtete; sie folgt als fruhe Form polyphoner Durchkomposition im deutschen Sprachraum klar franko-flamischen Vorbildern. Fur Kade, der lebenslang nach dem Ursprung deutscher Musik fahndete, ware dies sicherlich kaum befriedigend gewesen. Mit dieser Einsicht hatte freilich manche Musikgeschichte der Fruhen Neuzeit anders ausgesehen. bms online (Beatrix Obal)
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