Berlin, 21. bis 24. Oktober 2004: „Polnische Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts im europäischen Kontext“

2016 
Polnische Musik aus der Zeit zwischen Frederic Chopin und der Trias Witold Lutoslawski/Krzysztof Penderecki/Henryk Gorecki ist in Deutschland wenig gelaufig. Von Karol Szymanowski und Stanislaw Moniuszko kennen viele nur die Namen oder einzelne Werke; Mieczyslaw Karlowicz und Aleksander Tansman sind kaum ein Begriff. Dabei bietet die polnische Musik 1850-1950 nicht nur zahlreiche kunstlerisch bedeutende Schatze. Aufgrund ihrer spezifischen Rahmenbedingungen ist sie auch von besonderem Interesse fur kulturhistorische Fragestellungen, wie sie in jungster Zeit zunehmend ins Blickfeld der Musikwissenschaft rucken. Dazu zahlt auch das Spannungsverhaltnis zwischen dem Bemuhen um eine eigene nationale Identitat und der engen, anhaltenden Beruhrung mit fremden Einflussen, in die viele polnische Komponisten durch ihre langen Auslandsaufenthalte kamen. Diese Uberlegungen bildeten den Ausgangspunkt eines Internationalen Symposiums, das parallel zur Konzertreihe Polen im Herzen. Komponieren in der Fremde auf Initiative von Rainer Cadenbach und Frank Harders-Wuthenow an der Berliner Universitat der Kunste stattfand. Im Eroffnungsvortrag beschrieb Mieczyslaw Tomaszewski (Krakau) unter dem Titel „Kunst in Umarmung durch die Geschichte", wie Musik im mehrfach geteilten und besetzten Polen zwangslaufig in engen Bezug mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung trat und wie sich aus dieser Situation bestimmte Konstanten der polnischen Musik entwickelten: die Neigung zu politischem Engagement, die Akzentuierung des Nationalen (verbunden mit einem ausgepragten Traditions bewusstsein), ein starkes Ausdrucksbedurfnis sowie die Koexistenz slawischer, christlich-mediterraner und judischer Elemente. Diese Konstanten kehrten leitmotivisch wieder in den weiteren Vortragen, die uberwiegend einzelnen Komponisten gewidmet waren. Rudiger Ritter (Bremen) problematisierte Stanislaw Moniuszkos Unterscheidung zwischen „europaischer" und „nationaler" Musik. Dieter Gutknecht (Koln) beschrieb die internationalen Kontakte des Weltburgers und Virtuosen Henryk Wieniawski, Joseph Herter (Warschau) den Lebensweg Zygmunt Stojowskis, der in Paris studierte und spater in die USA auswanderte. Das schwierige Verhaltnis des Pianisten und polnischen Ministerprasidenten Ignacy Jan Paderewski zu seinem Studienort Berlin beleuchtete Antoni Buchner (Berlin). Helmut Loos (Leipzig) spurte den Ursachen des fulminanten Erfolgs nach, den das Oratorium Quo vadisl von Feliks Nowowiejski (dem aus dem Ermland geburtigen Meyerbeer-Preistrager der Berliner Akademie der Kunste) bis 1914 hatte. Michal Bristiger (Warschau) analysierte die Filmmusiktheorie des SchrekerSchulers Karol Rathaus. Leon Markiewicz (Kattowitz) stellte den polnischen Neoklassizisten Michal Spisak vor, wahrend Andrea Brill (Munchen) das „franzosisch-polnischjudische Selbstverstandnis" des ebenfalls dauerhaft nach Paris emigrierten Aleksander Tansman diskutierte. Beata Boleslawska (Warschau) ging auf den Fall Andrzej Panufniks ein, der anfangs als Exponent der sozialistischen Musik Polens galt, nach seiner Emigration nach Grosbritannien 1954 jedoch in seiner Heimat boykottiert wurde. Drei Beitrage widmeten sich personenubergreifenden Themen. Karol Bula (Kattowitz) verglich Berlin und Paris als Zentren des Studiums und Wirkens polnischer Komponisten vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Stefan Keym erorterte die patriotische Deutung des Beethoven'schen Prinzips „Per aspera ad astra" in Symphonien von Zygmunt Noskowski, Paderewski und Mieczyslaw Karlowicz als Beispiel fur einen deutsch-polnischen Kulturtransfer. Marcin Gmys (Warschau) zeigte strukturelle, asthetische und inhaltliche Beruhrungspunkte der „jungpolnischen" Moderne (Karol Szymanowski, Apolinary Szeluto) mit Schreker und Busoni auf.
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