Volkslied und Allusionstechnik bei Brahms Beobachtungen an "Sonntag" op. 47/3

2016 
Johannes Brahms' Interesse am Volkslied bildet eine Konstante seines gesamten Schaffens,1 tatsachlich sogar einen durchaus einflussreichen Faktor innerhalb seines musikalisches Denkens. Brahms hat sein Leben lang Volkslieder gesammelt und bearbeitet, besonders intensiv allerdings in den Jahren zwischen 1854 und 1858. Es zahlen allein zu den von Beginn an als Sammelwerk geplanten Volksliedbearbeitungen die wohl Mitte der 18 50erJahre entstandenen und 1858 erschienenen 15 VolksKindeiliedei (WoO 31), „den Kindern Robert und Clara Schumanns gewidmet", die 28 deutschen Volkslieder (WoO 32) vermutlich vom Fruhjahr 1858, die Zwolf deutschen Volkslieder fur vierstimmigen gemischten Chor (WoO 35), die zwischen 1858 und 1863 entstanden, die Acht deutschen Volkslieder fur dreiund vierstimmigen Frauenchor (WoO 36) von 1859 bis 1863, die Sechzehn deutschen Volkslieder fur dreiund vierstimmigen Frauenchor (WoO 37), ebenfalls zwischen 1859 und 1862 verfasst, die Zwanzig deutschen Volkslieder fur dreiund vierstimmigen Frauenchor (WoO 38) aus derselben Zeit, die Vierzehn deutschen Volkslieder fur gemischten Chor (WoO 34) von 1864 und schlieslich die Sammlung der 49 deutschen Volkslieder (WoO 33), die Brahms 1893/94 zusammenstellte, obgleich sie grostenteils wesentlich fruher entstanden ist. Die genannten Werkgruppen setzen sich aus Vokalmelodien zusammen, deren Begleitung oftmals sehr eigenstandig, wiewohl zumeist okonomisch ausgearbeitet erscheint und deren Anordnung von formalen und dramaturgischen Uberlegungen bestimmt ist. Brahms wahlte die zu bearbeitenden Melodien sorgfaltig aus und scheute sich dabei nicht, neben „ursprungsechten" Volksliedern auch solche in seine Sammlungen einzubeziehen, die auf Originalkompositionen etwa von Johann Friedrich Reichardt, Christoph Friedrich Nicolai oder Anton Wilhelm Florentin Zuccalmaglio beruhten. Dem Kunstler blieb im Hinblick auf eine solche Vorgehensweise der Vorwurf nicht erspart, dass er zwischen tatsachlichen und nur „im Volkston" komponierten Liedern nicht habe unterscheiden konnen.2 Eine solche Kritik ging auf eine asthetische Auseinandersetzung zuruck, die bereits nahezu das gesamte 19. Jahrhundert gepragt hatte: den ideengeschichtlichen Streit um „echte" (unverandert ubernommene) und „uneigentliche" (bearbeitete) Volkslieder,3 der sich aus der alten scholastischen Unterscheidung zwischen hervorbringender Natur („natura naturans") und hervorgebrachter Natur („natura naturata"), naturgegebener und menschlicher Setzung bzw. „naturlich" und geschichtlich Gepragtem speiste. Die Skepsis entzundete sich hierbei an der Frage,
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