Tabakkonsum unter Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern

2019 
Einleitung: Obwohl in der Gesellschaft ein deutlicher Ruckgang bei den Tabakpravalenzen zu verzeichnen ist, scheinen sich die hohen Pravalenzen in der Pflege (30-40%) zu manifestieren. Begrundet werden diese Zahlen vielmals mit der beruflichen Sozialisation und den vorherrschenden Normen. Besonders haufig fallen im Zusammenhang mit dem Gesundheitsverhalten der PflegerInnen, insbesondere hinsichtlich des Rauchverhaltens, Schlagworter wie der Fachkraftemangel, der Dauerstress oder der Pflegekollaps. Andere Studien zum Tabakkonsum unter den Pflegeschulern/PflegeschulerInnen belegen jedoch bereits eine Pravalenz von ca. 50%, welche deutlich uber der Pravalenz dieser Altersgruppe (ca. 30%) liegt. Diese Studien kritisieren auch die Situation in der Praxis, ermahnen jedoch, dass die Tabakpravention und –reduktion bereits zu einem fruheren Zeitpunkt, wahrend der Schulzeit, ansetzen musste. Die vorliegende Arbeit untersucht neben der beruflichen Situation auch mogliche Selektionsfaktoren bei der Berufswahl als Ursache fur die Tabakpravalenzen und daruber hinaus den Einfluss personenbezogener Merkmale auf die Anderungsmotivation hinsichtlich des eigenen Gesundheitsverhaltens. Hauptteil: Als theoretische Basis der Uberlegungen zur Sozialisation dienen die okologische Entwicklungspsychologie von Bronfenbrenner sowie die Theorie des sozialen Lernens von Bandura. Beide Theorien gehen von einem starken Austausch zwischen dem Individuum und seiner Umwelt aus. Gerade in der Praventionsforschung besitzt Bronfenbrenner mit der Betrachtung der unterschiedlichen Umwelten einen hohen Stellenwert, wohingegen Bandura im Bereich des Lebenskompetenztrainings durch die hohe Bedeutung der Selbstwirksamkeit zentral ist. Im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung mit der Sozialisation werden auch die Bedeutung der sozialen Normen sowie der arbeitsplatzbezogenen Stressoren beleuchtet. Die Uberlegungen zu moglichen Selektionsfaktoren in der Pflege begrunden sich auf das Funf-Faktoren-Modell (Big Five) und dem daraus entwickelten Personlichkeitstypen nach Torgensen. Es werden dabei Belege angefuhrt, dass die Personlichkeit einen Einfluss auf die Berufswahl, das Gesundheitsverhalten sowie die Anderungsbereitschaft besitzt. Weiter manifestiert werden diese Ergebnisse durch das Berufswahlmodell von Holland sowie Theorien der Gesundheitspsychologie, u.a. dem transaktionalen Stressmodell von Lazarus und Folkmann oder dem Transtheoretischen Modell der Verhaltensanderung von Prochaska und DiClemente. Da diese Arbeit im Rahmen der Interventionsstudie „astra“ zur Tabakpravention und –intervention fur Auszubildende in der Pflege verfasst wurde, sollen auch die Veranderungen durch das Projekt zum einen auf der Ebene der Verhaltnisse und zum anderen auf der Ebene des individuellen Verhaltens untersucht werden. Hierfur erfolgt ein kurzer Abriss des Sechs-Phasen-Modells fur suchtpraventive Tatigkeiten von Springer und Uhl, der Klassifizierung von Sucht sowie eine Vorstellung der Module und der Umsetzung des astra-Projekts. Insgesamt ergeben sich aus den Uberlegungen zu den Sozialisations- und Selektionsfaktoren in der Pflegeausbildung funf Fragestellungen: 1) Sind die Sozialisationsbedingungen in der Pflege tabakfreundlich? 2) Unterscheiden sich die Veranderungsprozesse zwischen den Interventionsschulen und Kontrollschulen bei astra? 3) Unterscheiden sich die PflegeschulerInnen hinsichtlich ihrer Personlichkeit von der deutschen Wohnbevolkerung? 4) Zeigen sich signifikante Unterschiede im Gesundheitsverhalten im Hinblick auf die Personlichkeitsauspragungen? 5) Ist die Veranderungsbereitschaft der PflegeschulerInnen abhangig von den Personlichkeits¬auspragungen? Methode: Die Studie wurde in einem nicht randomisierten Wartelisten-Kontrollgruppen-Design durchgefuhrt. Insgesamt konnten zwolf Pflegeschulen und insgesamt 508 PflegeschulerInnen befragt werden. Zur abschliesenden Befragung am Projektende konnten die Daten von insgesamt 235 Schulern/ Schulerinnen gewonnen werden, was einer Haltequote von 46% entspricht. Ergebnisse: Hinsichtlich der ersten Fragestellung: Sind die Sozialisationsbedingungen in der Pflege tabakfreundlich? zeigt die Betrachtung der Tabakpolitik anhand der Schulleiterbogen Hinweise auf eine tabakfreundliche Politik auf. Allerdings fehlen hier aufgrund der Stichprobengrose interferenzstatistische Analysen, um diese Ergebnisse zu bestatigen. Auf der Ebene der SchulerInnen konnten tabakfreundliche Sozialisationsbedingungen hinsichtlich der subjektiven Norm, sozialen Norm und den Einstellungen gegenuber verhaltensbezogener Masnahmen bestatigt werden. Bei der zweiten Frage: Unterscheiden sich die Veranderungsprozesse zwischen den Interventionsschulen und Kontrollschulen bei astra? konnten auf der Schulleiterebene positive Veranderungen bei den Interventionsschulen wahrgenommen werden. Allerdings fehlen auch hier aufgrund der Stichprobengrose interferenzstatistische Verfahren. Auf der Ebene der SchulerInnen konnten signifikante positive Entwicklungen in den Interventionsschulen bzw. signifikante negative Entwicklungen in den Kontrollschulen bei den Variablen subjektive Norm und soziale Unterstutzung nachgewiesen werden. Die dritte Fragestellung setzte sich mit der Frage auseinander, ob sich die PflegeschulerInnen hinsichtlich ihrer Personlichkeit von der deutschen Wohnbevolkerung unterscheiden? Die Uberprufung der Big Five zeigte signifikante Unterschiede sowohl bei der allgemeinen Betrachtung als auch nach Alter und Geschlecht differenziert. Daruber hinaus ergab auch die explorative Analyse der Personlichkeitstypen signifikante Unterschiede zwischen den Pflegeschulern/Pflegeschulerinnen und der deutschen Wohnbevolkerung. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich bei den PflegeschulerInnen, um eine Gruppe handelt, die besonders sensibel ist und entsprechend feinfuhlig mit dem sozialen Umfeld interagiert. Die vierte Frage beschaftigte sich mit der Analyse, ob sich signifikante Unterschiede im Gesundheitsverhalten im Hinblick auf die Personlichkeitsauspragungen zeigen? Dabei konnten bei den Big Five signifikante Zusammenhange mit der Stresswahrnehmung, dem Rauchverhalten und der Widerstandsgewissheit (einer angebotenen Zigarette) nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Personlichkeitstypen konnten diese signifikanten Ergebnisse nur bei der Stresswahnehmung und der Widerstandsgewissheit bestatigt werden. Die letzte Frage lautete: Ist die Veranderungsbereitschaft der PflegeschulerInnen abhangig von den Personlichkeits¬auspragungen? Dabei wurden nur die InterventionsschulerInnen berucksichtigt, die an beiden Befragungen teilgenommen hatten (N=115). Auf der Ebene der Big Five konnten dabei keine Zusammenhange gefunden werden. Bei den Personlichkeitstypen konnte beim Entrepreneur Type ein leicht positiver Trend hinsichtlich der sozialen Unterstutzung gemessen werden, der sich signifikant von der leicht negativen Entwicklung des Spectator Type unterscheidet. Diskussion: Diese Studie gibt Hinweise darauf, dass die Tabakpolitik in den Pflegeschulen tabakfreundlicher ist, als in den Regelschulen und auch entsprechend von der Schulerschaft wahrgenommen wird. Gleichzeitig zeigen die hohen Pravalenzen bereits zu Beginn der Pflegeausbildung einen dringenden Handlungsbedarf an den Regelschulen auf. Daruber hinaus konnten in dieser Studie auch Hinweise gefunden werden, dass bereits in einem kurzen Zeitraum die Tabakpolitik durch evidenzbasierte Programme wie astra in eine positive Richtung gelenkt werden konnen und dies auch fur die SchulerInnen wahrnehmbar ist. Zudem identifizierte diese Arbeit die PflegeschulerInnen als eine besondere Gruppe in der deutschen Wohnbevolkerung. Die PflegeschulerInnen konnten als eine besonders sensible Gruppe herausgestellt werden, die empfindlich mit dem sozialen Umfeld interagiert. Ohne ausreichende soziale Unterstutzung und einem Training der Stressbewaltigungskompetenzen korrelieren diese Personlichkeitsauspragungen jedoch mit einem ungesunden Lebensstil. Auch in dieser Studie konnten diese signifikanten Zusammenhange zwischen der Personlichkeitsauspragung und der Stresswahrnehmung, dem Rauchverhalten sowie der Widerstandsgewissheit bestatigen. Praktisch kein Einfluss konnte zwischen der Personlichkeit und der Veranderungsbereitschaft nachgewiesen werden. Einzig bei den Personlichkeitstypen konnte hinsichtlich der sozialen Unterstutzung ein kleiner Unterschied zwischen dem Entrepreneur Type und dem Spectator Type nachgewiesen werden. Allerdings stand bei dieser letzten Untersuchung nur eine kleine Stichprobe zur Verfugung. Es kann demnach resumiert werden, dass eine Personengruppe den Pflegeberuf wahlt, die aufgrund der Personlichkeitsauspragungen sehr sensibel mit dem sozialen Umfeld interagiert. Zum einen ist es fur den Pflegeberuf erfreulich, dass besonders sensible Menschen den Pflegeberuf wahlen. Zum anderen bedeutet es, dass diese Personengruppe eine besondere Unterstutzung durch die Kollegen/Kolleginnen, Ausbildenden in Theorie und Praxis benotigen, um entsprechende Kompetenzen fur den Umgang mit Stress und einem gesunden Lebensstil zu erwerben. Aktuel treffen diese SchulerInnen mit Ausbildungsbeginn auf ein soziales Umfeld, in dem Rauchen als moglich und akzeptiert erlebt wird. Dabei befinden sich die PflegeschulerInnen in einer sensiblen Lebensphase, in der sie besonders empfanglich fur neue Normen und Verhaltensweisen sind. Die Etablierung evidenzbasierter Programme zur Pravention und Tabakreduktion kann bereits zu nachweisbaren positiven Veranderungen innerhalb der Ausbildung fuhren. Zentral fur eine nachhaltige Normanderung ist dabei eine enge Kooperation mit der Praxis.
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