Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsbedingungen gestalten. :

2020 
Die Art und Weise, wie wir uns ernahren, beeinflusst wesentlich unseren individuellen Gesundheitsstatus, unsere Lebensqualitat und unser Wohlbefinden. Viele Lebensmittel tragen einen grosen sozialen, umwelt-, klima- und tierschutzbezogenen Fusabdruck. Politik fur nachhaltigere Ernahrung ist in diesem Gutachten definiert als eine Politik, die alle vier Zieldimensionen integriert: Gesundheit, Soziales, Umwelt (einschlieslich Klima) und Tierwohl (Abb. ZF-1, siehe Beitrag). Die Herausforderungen, eine nachhaltigere Ernahrung zu verwirklichen, sind gros. Die notwendigen Fortschritte werden nur mit einer umfassenden Transformation des heutigen Ernahrungssystems erreichbar sein. Die Frage, was eine nachhaltigere Ernahrung ausmacht, ist schwieriger zu beantworten, als in der Offentlichkeit vielfach vermutet wird. Gleichzeitig sind wir als Konsumentinnen und Konsumenten mit Ernahrungsumgebungen konfrontiert, die ein nachhaltigeres Einkaufen und Essen erschweren. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der WBAE, Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Gestaltung angemessener Ernahrungsumgebungen bei der Realisierung einer nachhaltigeren Ernahrung deutlich starker als bisher zu unterstutzen. Dazu gilt es erstens, solche Faktoren in den heute vorherrschenden Ernahrungsumgebungen, die eine nachhaltigere Ernahrung erschweren (z. B. grose Portionsgrosen, hohe Werbeausgaben fur ungesunde Lebensmittel), zu reduzieren. Dazu gilt es zweitens, mehr gesundheitsfordernde, sozial-, umwelt- und tierwohlvertragliche Wahlmoglichkeiten zu bieten, ein Erkennen nachhaltigerer Varianten zu erleichtern, einen einfacheren Zugang zu Informationen zu ermoglichen und Preisanreize zu setzen, die es naheliegender machen, die nachhaltigere Wahl zu treffen. Der WBAE bezeichnet solche Ernahrungsumgebungen als fair, weil und insofern sie (1) auf unsere menschlichen Wahrnehmungs- und Entscheidungsmoglichkeiten sowie Verhaltensweisen abgestimmt sind und (2) gesundheitsfordernder, sozial-, umwelt- und tierwohlvertraglicher sind und damit zur Erhaltung der Lebensgrundlagen heutiger und zukunftig lebender Menschen beitragen. Bestehende Rahmenbedingungen sind in Deutschland wenig hilfreich, die Verantwortung wird zu stark auf das Individuum verlagert, und viele verfugbare Unterstutzungsinstrumente werden nicht genutzt. Deutschland ist, wie in diesem Gutachten aufgezeigt wird, in dieser Hinsicht im europaischen Vergleich Nachzugler. Der Verweis auf die Notwendigkeit von fairen Ernahrungsumgebungen impliziert, dass eine Politik fur nachhaltigere Ernahrung in Deutschland deutlich mehr und eingriffstiefere Instrumente wie beispielsweise Lenkungssteuern heranzieht. Mit dem vorliegenden Gutachten legt der WBAE Empfehlungen fur wichtige Schritte hin zu fairen Ernahrungsumgebungen vor. Ein zentraler Ansatzpunkt ist eine qualitativ hochwertige und beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung. Der WBAE empfiehlt eine umfassende Neuausrichtung und Starkung des Politikfeldes Ernahrung, das die vier Nachhaltigkeitsdimensionen Gesundheit, Soziales, Umwelt und Tierwohl integriert. Es bedarf eines lernenden Politikansatzes, basierend auf langfristigen, uberprufbaren Zielen. Der notwendige Instrumentenmix sollte konsequent erprobt, evaluiert und evidenzbasiert angepasst werden. Dies erfordert eine starkere Vernetzung zwischen den Ressorts (insbesondere Ernahrung und Landwirtschaft, Gesundheit, Umwelt) und zwischen den verschiedenen Politikebenen (von der Kommune bis zur EU) sowie den Ausbau personeller Kapazitaten mit deutlichen Budgeterhohungen fur die Ernahrungspolitik. Die vorgeschlagene integrierte Ernahrungspolitik mit aufeinander abgestimmten, zum Teil deutlich eingriffstieferen Masnahmen als bisher (Abb. ZF-2: Zentrale Politikempfehlungen des Gutachtens, siehe Beitrag) stellt einen wichtigen und notwendigen Schritt dar, um unsere Gesundheit, unsere Umwelt und unser Klima zu schutzen, Ernahrungsarmut zuruckzudrangen, soziale Mindeststandards einzuhalten und das Tierwohl zu erhohen. Faire Ernahrungsumgebungen schutzen uns alle und nutzen uns allen. Die Realisierung der empfohlenen Masnahmen erfordert erhebliche staatliche Mehrausgaben. Im Verhaltnis zu den derzeitigen und zukunftig zu erwartenden hohen gesellschaftlichen und individuellen (Folge)Kosten unserer gegenwartigen Ernahrung stellen diese Mehrausgaben jedoch eine gesamtgesellschaftlich gebotene Investition dar. Eine zeitliche Verschiebung der erforderlichen Neuausrichtung wurde sowohl die zu adressierenden Problemlagen als auch den erforderlichen Anpassungsbedarf verscharfen. Die in diesem Gutachten vorgelegte Analyse zeigt: Eine umfassende Transformation des Ernahrungssystems ist sinnvoll, sie ist moglich und sie sollte umgehend begonnen werden.
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