Vielfalt und Verschiedenheit. Zur Gegenstrebigkeit der Diversität

2016 
Der Ausdruck Diversitat ist ambivalent. Er kann Mannigfaltigkeit, Vielfalt, Vielfaltigkeit ebenso wie Verschiedenartigkeit oder Verschiedenheit meinen. Fokussiert man die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit, dann geraten jene in den Blick, die als Nicht-Diskriminierte und Unmarkierte in dieser Unterscheidung einen merkwurdigen Zwischenstatus haben, weil sie zur Diversitat sowohl dazu- als auch nicht dazugehoren. Sie gehoren der Diversitat im Sinne von Vielfalt an, nicht aber zur Diversitat im Sinne von Verschiedenheit. Diesen ›Anderen der Verschiedenen‹ werde ich mich im ersten Teil uber den Begriff der Unmarkiertheit annahern. Dabei wird sich zeigen, dass auch dieser Begriff zumindest in einem doppelten Sinne verstanden werden kann. Er kann auf eine bestimmte Gruppe beschrankt werden (jene, die nicht negativ markiert und in diesem Sinne nicht diskriminiert und im Sinne der Diversity Studies nicht ›verschieden‹ sind). Dem steht ein anderes Verstandnis gegenuber, das durch Niklas Luhmann ein ussreich wurde und nach dem Unmarkiertheit die Grundlage aller Beobachtungen bildet. Die erste Moglichkeit betont die Verschiedenheit und erscheint politisch oder politisierend, die zweite dagegen lost den Unterschied zwischen den Verschiedenen und den An- deren der Verschiedenen (und damit die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit) re exiv auf und erscheint depolitisierend. Das Lateinische unterstreicht diesen Unterschied noch, denn diversitas bedeutet neben Ver- schiedenheit auch Widerspruch oder Gegensatz, was naturgemas etwas anderes voraussetzt, dem widersprochen wird. Die gleiche Spannung zwischen Reflexion und Politisierung lasst sich, wie ich im zweiten Schritt zu zeigen versuche, anhand des Begriffs ›Ausnahme‹ vertiefen. Kritische Diskurse und Praxen kampfen mit dem Widerspruch, dass sie im Sinne einer emanzipatorischen Politik binare Unterscheidungen (temporar) invertieren oder sich (strategischer) Essentialismen bedienen, damit aber das, was sie bekampfen, bis zu einem gewissen Grad prolongieren. Der Vorwurf der Selbstwiderspruchlichkeit, der sich hier erheben lasst, erscheint aber seinerseits problematisch, weil er eine (depolitisierende) Nivellierung von relevanten Unterschieden darstellt. Die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit, zwischen Reflexion und Politisierung wurzelt tief und reicht an grundlegende Differenzen der abendlandischen Religions- und Philosophiegeschichte heran: Werden und Sein, Geschichtlichkeit und Transzendenz, Kampf und Frieden, Nomadentum und Zielgerichtetheit. Im Anschluss an Gedanken von Derrida mochte ich im letzten Teil dafur pladieren, diese Spannung offen zu halten und auszuhalten und der Versuchung zu widerstehen, sie in die eine oder andere Richtung aufzulosen.
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