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Modernität einer Plastikwelt

1996 
Diese Deutschlandreise im Sekundentakt ist ohne physische Anstrengung, sie verlangt auch kein Fahrplanstudium, geschweige denn einen echten Bahnhof Nur wenige Zentimeter liegen zwischen dem postkartenbekannten Fachwerk aus Miltenberg und dem wilhelminischen Bonner Hauptbahnhof, der hier nur 13 Zentimeter hoch ist und aus uber 700 Plastikteilen in neun Farben besteht. In der Nachbarschaft stapelt sich Bausparkassenmoderne aus den funfziger Jahren, dazu Lokschuppen, Stellwerke oder Bahnwarterbehausungen mit geschwarzten Backsteinmauern. Merkwurdige Menschen irren hier umher, Frauen mit Kopftuchern, Manner in Uniformen. Sie plagen sich mit Holzfassern und stehen auf Kopfsteinpflasterstrasen. Alles ist recht betulich, denn Autos sind hier kaum zu erwarten, hochstens Eisenbahnen, und ein Bonsai ware schon ein Riese — auf der Modelleisenbahn. Diese Miniaturen sind viel mehr als ein Spielzeug. Sie sind bisweilen verraterisch, weil sie uber spezielle Gemutslagen des Kindes im Mann Aussagen machen konnen. Aber nicht nur das: in der Verkleinerung liegt so manches Geheimnis, fast ein bischen Magie. In den achtziger Jahren durfte beispielsweise der Trend seinen Hohepunkt erreicht haben, mit „Micro-Architektur“ Gebrauchsguter zu gestalten: Pfeffer- und Salzstreuer als Minihauser, Kaffeekannen als Turmchen. Und Volker Fischer jubelte damals uber „den avantgardistischen Zeitgeist aus dem Olymp der Hochkunste“, der im Alltag angekommen war.1 Miniaturen als Trendsetter und Geschmacksbildner, vielleicht sogar die wahren Botschafter von Architekturinhalten? Ja. Denn bevor irgendjemand in den USA, Japan oder Hongkong auch nur andeutungsweise mit der tieferen Bedeutung des Berliner Architekturstreits und mit „dem Vokabular der europaischen Stadt“ konfrontiert wird, haben die Hersteller von Modelleisenbahnzubehor aus Deutschland schon Klischees verankert, hat ihr architektonisches Miniaturkonvolut aus Bahnhofsasthetik, Landhausromantik und Baugeschichtsnostalgie Einzug in Kinderzimmern der gesamten Welt gehalten. Fruhe Einflusse verursachen bleibende Eindrucke.
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