Ungleichheit unter der Lupe – neue politische Antworten auf ein bekanntes Thema

2020 
Judith Niehues und Maximilian Stockhausen, Institut der deutschen Wirtschaft, Koln, weisen darauf hin, dass in der Wahrnehmung der Bevolkerungsmehrheit die Ungleichheit in Einkommen und Vermogen seit Jahren steigt. Ein Abgleich mit den verfugbaren Daten zeige jedoch, dass die Daten weder ein eindeutiges Bild zeichnen, noch in wesentlichen Befunden zu den Vorstellungen der Bevolkerung passen. Unterschiedliche Datensatze fuhren teilweise zu unterschiedlichen Ungleichheitstrends. Eine robuste Datengrundlage sei aber fur eine evidenzbasierte Politikberatung unablassig. Andreas Peichl, ifo Institut, sieht trotz einem leichten Anstieg des Gini-Koeffizienten in den letzten Jahren keine strukturelle Verschiebung von arm zu reich. Der Anstieg der Ungleichheit liege vielmehr an der Veranderung der Befragungsdaten, die der Berechnung zugrunde liegen. Mit der Fluchtlingswelle und der Einwanderung sei eine ganze Gruppe mit niedrigem oder keinem Einkommen hinzugekommen. Die Folge sei, dass die Ungleichheit insgesamt ansteige. Dies bedeute jedoch nicht, dass es einer Person, die vorher in Deutschland lebe, schlechter gehe. Charlotte Bartels, Deutsches Institut fur Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), geht davon aus, dass die Polarisierung der Markteinkommen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten drastisch gestiegen ist, da die Kapiteleinkommen starker gewachsen sind als die Lohneinkommen. Zwar verteile der deutsche Staat mit seinem progressiven Einkommensteuersystem und den Sozialleistungen stark um und reduziere damit die Ungleichheit. In einer sozialen Marktwirtschaft sollte es aber vor allem interessieren, welche Einkommensverteilung der Marktmechanismus generiere. Mario Bossler, Bernd Fitzenberger, Institut fur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nurnberg, und Arnim Seidlitz, Humboldt-Universitat zu Berlin, zeigen, dass die Lohnungleichheit unter Vollzeitbeschaftigten in Westdeutschland zwischen 1990 und 2010 stark angestiegen ist. Ein Grund dafur sei die zunehmen-de Heterogenitat der Erwerbsverlaufe. Seit 2011 habe die Lohnungleichheit nicht mehr weiter zugenommen. Mit der Einfuhrung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 sei die Lohnungleichheit am unteren Ende der Lohnverteilung zuruckgegangen. Moritz Kuhn, Universitat Bonn, stellt in der Diskussion uber Vermogensunterschiede den Hausermarkt und die Verteilung des Immobilienvermogens in den Mittelpunkt seiner Analyse und diskutiert die Bedeutung von Veranderungen der Hauserpreise fur die Vermogensungleichheit. Nach seinem Ergebnis haben sich die unteren Vermogen nach einem Anstieg der Hauspreise starker erhoht als die Vermogen der reichsten 10%, d.h., die Vermogensungleichheit bei steigenden Hauspreisen sinkt. Till Baldenius, Humboldt-Universitat zu Berlin, Sebastian Kohl, Max-Planck-Institut fur Gesellschaftsforschung, Koln, und Moritz Schularick, Universitat Bonn, argumentieren dagegen, dass der Immobilienpreisboom die Vermogen der Halfte der Bevolkerung gar nicht erreicht: Denn zu den grosen Immobiliengewinnern zahlten Haushalte, die uber Immobilienvermogen verfugen und das sei im „Mieterland Deutschland“ noch nicht einmal jeder zweite Haushalt. Zudem trafen Mietsteigerungen insbesondere Mieter in armeren Stadtvierteln, die einen immer groseren Einkommensanteil fur Wohnausgaben ausgeben mussten. Rolf Kleimann, Institut fur Angewandte Wirtschaftsforschung, Tubingen, findet, dass die ublichen Mase zur Bestimmung von sozialer Ungleichheit fur die Politik nicht handlungsleitend sein konnen. Unterschiedliche Messkonzepte zur Ungleichheit fuhrten zu unterschiedlichen Ergebnissen und seien wenig brauchbar. Prekare Lagen hatten immer konkrete Dimensionen und verlangten konkrete Hilfe.
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