Federgras-Bestände in Mitteldeutschland.: Teil II. Funktionelle Merkmale

2019 
Funktionelle Merkmale sind Merkmale von Organismen, die sich auf deren individuelle Fitness auswirken. Die funktionelle Struktur (Zusammensetzung und Verteilung von Merkmalen in einer Gesellschaft) und funktionelle Divergenz (Ungleichmasigkeit der Verteilung von Merkmalen in einer Gesellschaft) von Gesellschaften sind Bestandteil der funktionellen Diversitat, die auch die Struktur und Dynamik von Xerothermrasen beeinflusst. In Mitteldeutschland stellen Stipa-Arten ein bedeutendes Element dieser Rasen dar. Fruhere Studien zeigten, dass sich die von Stipa-Arten dominierten Rasen in ihrer floristischen Zusammensetzung sehr ahnlich sind, sich in ihrer Physiognomie jedoch unterscheiden. Ziel dieser Arbeit war es, zum einen die abiotischen Faktoren vergleichend zu betrachten, zum anderen anhand der funktionellen Merkmale der vier verschiedenen von Stipa gekennzeichneten Rasen (S. capillata, S. pennata, S. pulcherrima und S. tirsa) zu uberprufen, ob sich diese in ihrer funktionellen Diversitat unterscheiden. Basierend auf den Vegetationsaufnahmen von Meier & Partzsch (2018) wurden funktionelle Merkmale (Wuchshohe, Blattflache, Blatttrockenmasse, LDMC (leaf dry matter content), SLA (spezifische Blattflache), LNC (Blattstickstoffkonzentration), LCC (Blattkohlenstoffkonzentration), C/N-Verhaltnis) erhoben und zusatzlich Temperaturmessungen und Bodenanalysen durchgefuhrt. Die erhobenen Daten wurden mittels linearer gemischter Modelle, Hauptkomponentenanalysen, Kanonischen Korrespondenzanalysen und Clusteranalysen miteinander verglichen. Hinsichtlich Lufttemperatur und Bodenparameter gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Stipa-Rasen (Ausnahmen: Wassergehalt, N-Gehalt, C-Gehalt). Auch bezuglich der funktionellen Merkmale zeigten sich kaum signifikante Unterschiede zwischen den Stipa-Rasen, mit Ausnahme von SLA, LNC, und C/N-Verhaltnis. Nur die Stipa capillata-Rasen wiesen signifikant hohere LNC als die Stipa tirsa-Rasen auf. Gradienten funktioneller Merkmale erlaubten nur auf der Ebene der Plots eine Differenzierung zwischen Stipa capillata- und Stipa tirsa-Rasen, ansonsten waren keine Differenzierungen nachweisbar. Die Clusteranalyse zeigte, dass die vier Stipa-Arten und u. a. Bromus erectus gemeinsam funktionell zu einer Gruppe gehoren. Auserdem wurden die funktionellen Merkmale der Stipa-Rasen nicht signifikant durch abiotische Faktoren beeinflusst. Insgesamt lasst sich schliesen, dass die Stipa-Rasen eine geringe Photosynthese- und Wachstumsrate sowie lange Blattlebensdauer besitzen, indem in die Erhaltung und langsame Ruckfuhrung von Nahrstoffen investiert wird. Nach den Ergebnissen dieser Arbeit sind die Stipa-Rasen Mitteldeutschlands sowohl floristisch als auch funktionell nicht voneinander unterscheidbar und konnen nicht als eigenstandige Gesellschaften betrachtet werden. Vielmehr haben die einzelnen Stipa-Arten ahnliche funktionelle Merkmale und konnen sich daher gegenseitig funktionell austauschen, sodass es zu Konkurrenzausschluss kommen konnte, wenn sich die abiotischen Faktoren andern.
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