LTD-artige zentralmotorische Plastizität im Schubereignis bei Patienten mit Multipler Sklerose
2019
Die Multiple Sklerose ist eine chronisch entzundliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Durch ein komplexes Zusammenspiel von Genetik, Autoimmunvorgangen und proinflammatorischen Prozessen kommt es zur Demyelinisierung sowie zu axonalen Schaden und kortikalen Lasionen (Calabrese et al., 2010; Ciccarelli et al., 2014; International Multiple Sclerosis Genetics et al., 2011; Leray et al., 2015). In den Industrielandern ist diese Erkrankung eine der haufigsten Ursachen fur langfristige Behinderung bereits im fruhen Lebensalter (Flores-Alvarado, Gabriel-
46 Ortiz, Pacheco-Mois, & Bitzer-Quintero, 2015). Die Diskrepanz allerdings zwischen klinischer Symptomatik und den Befunden der Bildgebung (Barkhof, 2002) gibt Anlass dafur, Adaptionsmoglichkeiten detailliert zu erforschen. Vorgange der Neuroplastizitat mit LTP und LTD als Basismechanismen erscheinen dabei zunehmend Beachtung zu finden (Dayan & Cohen, 2011; Zeller et al., 2011). Welche Rolle diese Prozesse allerdings im akuten Schub, wahrend der haufig stark ausgepragten Symptomatik, insbesondere aber auch wahrend ihrer Ruckbildung spielen, bleibt bisher weitgehend ungeklart. Eine Untersuchung zu stimulationsinduzierter LTP-artiger Plastizitat im Schub deutete auf einen moglichen Zusammenhang zwischen Ausmas der Symptomruckbildung und PAS25-induziertem LTP-Effekt hin (Mori et al., 2014).
In der vorliegenden Arbeit wurde komplementar hierzu die stimulationsinduzierte LTD-artige Plastizitat bei 19 MS- bzw. CIS-Patienten wahrend des steroidbehandelten akuten Schubes untersucht. Als Kontrollgruppe wurden alters- und geschlechtsgematchte gesunde Probanden untersucht. Die Messungen wurden mithilfe eines Protokolls der assoziativen Paarstimulation durchgefuhrt. Paarstimulation wird die Kombination aus der peripher elektrischen und transkraniell magnetischen Stimulation genannt. Das in unserer Studie verwendete Protokoll sieht ein Interstimulusintervall von 10ms vor (PAS10). Der Effekt der Paarstimulation wird durch Messungen der Exzitabilitat des motorischen Kortex mittels motorisch evozierter Potenziale (MEP) jeweils vor und nach der Intervention gemessen. Bei den MS-Patienten wurden diese Daten zum Zeitpunkt des Schubes (t1) und 12 Wochen danach (t2) erhoben; die gesunden Kontrollen wurden nur einmal gemessen. Daneben wurde bei den Schubpatienten zur Quantifizierung der klinischen Symptomatik jeweils zum ersten und zum zweiten Zeitpunkt der MSFC erhoben.
Die MS-Patienten zeigten im akuten MS-Schub im Gegensatz zu der Kontrollgruppe aus Gesunden keinen LTD-artigen, sondern einen inversen, sprich einen signifikant LTP-artigen Effekt; dieser war zum Zeitpunkt t2 nicht mehr zu erkennen. Der Unterschied zwischen den PAS10-Effekten der MS- und der Kontrollgruppe war ebenfalls signifikant. Der Vergleich der MSFC-Werte der MS-Gruppe zwischen t1 und t2 erbrachte eine signifikante klinische Besserung. Eine signifikante Korrelation zwischen
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den neurophysiologischen und klinischen Daten bzw. ihren Veranderungen zwischen t1 und t2 zeigte sich nicht.
Diese Ergebnisse untermauern und erweitern bereits bestehende Hinweise, dass wahrend der akuten Inflammationsprozesse des MS-Schubes veranderte Voraussetzungen fur die Induzierbarkeit von Plastizitat gegeben sind. Nicht nur, wie bereits gezeigt, die LTP-artige, sondern offenbar auch die LTD-artige assoziative Plastizitat zeigt sich stark von den humoralen Veranderungen im steroidbehandelten Schub beeinflusst. Weitere Studien in starker vorselektierten Patientengruppen sollten der Frage nachgehen, inwieweit LTD-artige Plastizitat sich in verschiedenen Subgruppen mit unterschiedlichen Schubsymptomen unterscheidet. Des Weiteren ist der Frage weiter nachzugehen, ob LTD-artige Plastizitat funktional zur Adaption im Rahmen des Schubereignisses notwendig ist und inwieweit deren Unterdruckung bzw. Ersatz durch Langzeitpotenzierung potenziell einer Adaption im Wege steht. Sollten potenzielle Folgestudien bestatigen, dass LTD- und LTP-artige Plastizitat im Schub moglicherweise haufig dysfunktional ausgepragt ist und einer optimalen Regeneration entgegensteht, waren daraus praktische Implikationen zu ziehen. Die Entwicklung neuer Trainingsprogramme oder elektrophysiologischer Konzepte konnte ein nachstes Ziel dieses Forschungszweiges sein, um potenziell dysfunktionale Plastizitat zu vermeiden und physiologische Prozesse bereits im Schub zu fordern.
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