Physiotherapie in der Praxis: Ohne Theorie geht es nicht

2015 
Patienten mit (chronischen) Schmerzen befolgen haufig nur unzureichend Anweisungen, die darauf abzielen, dass sie (weiter) ihre Ubungen machen und korperlich aktiv bleiben oder aktiver werden. Dies kann eine negative Wirkung auf die Behandlungseffektivitat haben. Bis heute findet sich in der Fachliteratur keine uberzeugende Erklarung fur dieses unzureichende Befolgen von Behandlungsanweisungen. Dieser Artikel sucht eine mogliche theoretische Erklarung in der kognitiven Dissonanztheorie. Sie zeigt, dass die Kommunikation zwischen Physiotherapeuten und Patienten zu fortbestehenden Beschwerden fuhren kann. Viele Patienten mit chronischen Schmerzen haben Angst vor Schmerzen und neigen dazu, schmerzauslosende Ubungen und Aktivitaten zu vermeiden. Das bedeutet, sie vernachlassigen auch schmerzauslosende Anweisungen zu Ubungen, die sie auserhalb der Behandlungssitzungen durchfuhren sollen. Im Kontakt mit den Physiotherapeuten suchen sie nach Signalen, die es ihnen erlauben, das Vermeiden von Ubungen und korperlichen Aktivitaten zu legitimieren. Physiotherapeuten haben haufig selbst mehr oder weniger Angst davor, bei ihren Patienten Schmerzen auszulosen. Daher geben sie in der Kommunikation mit den Patienten – oft unbewusst – ihre Angstkognitionen in Form von verbalen, para- und nonverbalen Signalen an diese weiter. Die Patienten interpretieren sie dann wiederum als Legitimierung fur ihr Vermeidungsverhalten. Dies geschieht z. B., indem die Physiotherapeuten einfuhlend auf eine Schmerzzunahme reagieren und diese Reaktionen als empathisch und damit therapeutisch sinnvoll und gerechtfertigt interpretieren. Die Patienten dagegen sehen in ihnen eine Bestatigung ihrer eigenen Angst vor Schmerzen und damit eine Rechtfertigung fur ihr Vermeidungsverhalten. Das Zusammenwirken und Verstarken der Angstkognitionen von Therapeuten und Patienten wird als iatrogene Symbiose bezeichnet. Die Vermeidung einer solchen iatrogenen Symbiose und damit einhergehend die Verbesserung der Bereitschaft der Patienten, sich an Anweisungen zu halten, lasst sich durch konsequentes verbales als auch para- und/oder nonverbales Ignorieren von Schmerzsignalen der Patienten vermeiden. Im Kontext des Verhaltnisses zwischen Therapeuten und Patienten muss „empathisches Handeln“ deshalb als professionelle Fahigkeit zu handeln im Einklang mit langfristigen Behandlungszielen definiert werden. Auf diese Weise kann das Erkennen einer moglichen iatrogenen Symbiose als „Sprungbrett“ zu einem optimalen Behandlungsergebnis dienen.
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