Joachim Günther - eine Schlüsselfigur in der Geschichte des Aphorismus im 20. Jahrhundert

2012 
Der bundesrepublikanische Aphorismus nach 1945/49 stellt keinen Neuanfang dar. Er ist gepragt von Autoren, deren literarische Anfange in den dreisiger oder gar zwanziger Jahren liegen. Bei aller Differenz im Anspruch und darin, wie sie diesen Anspruch einlosen, sind sie unterschiedslos konservativ gepragt, dabei nicht selten prononciert religios ausgerichtet. Ihre Religiositat fugt sich in den christlich- existenzialistischen Kontext dieser Jahre ein. Wahrend Herrschaft der Tradition in den meisten Fallen formal bedeutet, dass Wiederholung und Variation dominieren, bewegen sich einige Autoren zu ihrem Vorteil zwischen Tradition und Erneuerung. Das hat inhaltlich- formal eine grosere Spannweite zur Folge. Neben Goethe und Hofmannsthal treten als Paten Lichtenberg und Kraus. Auch diese Autoren kommen aus der Tiefe der Gattungstradition und sind ihr verhaftet, aber sie haben daneben ihre je eigene Farbe und allesamt ein produktives Zentrum: Bildlichkeit und Formvielfalt bei dem Literaten Martin Kessel, Skepsis und Schweigen bei dem Philosophen Hans Kudszus, das Portrat bei dem Psychologen Hans Arndt, politischer Kommentar und lyrischer Anklang bei Hans Kasper, die diaristisch gegrundete Refl exionsnotiz bei Joachim Gunther. Zu einer zentralen Gestalt in der Geschichte des Aphorismus im 20. Jahrhundert wird Joachim Gunther (1905– 1990) daruber hinaus nicht so sehr durch das eigene aphoristische Werk als vielmehr durch das, was sich in seiner Person auf einzigartige Weise verbindet: der Herausgeber einer Zeitschrift, der in so gut wie jeder Nummer aphoristische Autoren zu Wort kommen lasst und durch die Auswahl sowie den zugehorigen Briefwechsel Einfl uss nimmt, der Rezensent aphoristischer Neuerscheinungen und Verfasser von Gedenkartikeln sowie der Autor eigener Aphorismen. Er lasst von der ersten Nummer der Neuen Deutschen Hefte an keinen Zweifel an einer besonderen aphoristischen Disposition, macht sie in seinem ‚Leitartikel’ im funften Jahrgang Warum soviel Aphorismen? (5,2 (1958/59): 738– 740) 1 vielmehr sogar explizit. Um ihn als Schlusselfi gur wurdigen zu konnen und sein Gattungsverstandnis zu entfalten, ist es notig, zuvor seinen eigenen geistigen Weg nachzuvollziehen, der im Dreieck von Philosophie, Theologie und Literatur verlauft und sich wohl am
    • Correction
    • Source
    • Cite
    • Save
    • Machine Reading By IdeaReader
    14
    References
    0
    Citations
    NaN
    KQI
    []