Fatigue aktiv entgegenwirkenEnergiemanagement-Schulung (EMS) bei Multipler Sklerose
2019
Fatigue ist ein Symptom das bei vielen Erkrankungen auftritt und Betroffene in ihrer Lebensgestaltung einschrankt. Fatigue wird als ein subjektiver Mangel physischer und/oder psychischer Energie definiert, der vom Einzelnen oder Angehorigen bzw. Pflegepersonen wahrgenommen wird und der das Ausfuhren ublicher und gewunschter Aktivitaten beeintrachtigt. Aktivitatsbedingte Erschopfung, wie bspw. nach einem Marathon oder einem langen Tag Arbeit, kennen alle Menschen. Im Gegensatz dazu ist die „pathologische“ Fatigue eine tiefe physische und/oder mentale Erschopfung, die sich durch Ausruhen oder Schlaf nicht (ausreichend) erholt und nicht im Verhaltnis zu der zuvor erbrachten korperlichen oder kognitiven Leistung steht. (Lorenzen 2010; Swain 2000)
Im Bereich der neurologischen Erkrankungen konnen unter anderem Menschen mit Multiple Sklerose (75-95%; Messmer Ucelli 2012), Amyothrophe Lateralsklerose (Gibbons et al. 2018), nach Schlaganfall (ca. 35% auch noch nach einem Jahr; Eskes et al. 2015) oder mit Querschnittsymptomatik (ca. 50%; Anton et al. 2017) betroffen sein. Im Bereich der Krebserkrankungen tritt Fatigue bei ca. 80% der Betroffenen auf. Diese kann schon vor der Diagnosestellung auftreten, ist aber vor allem bekannt wahrend der Behandlungsphase und kann nach der Genesung als Restsymptom bestehen bleiben (Bourmaud et al. 2017). Auch Menschen mit entzundlichen und rheumatologischen Erkrankungen wie Fibromyalgie oder SLE (ca. 90%; Cleanthous et al. 2012) berichten von Fatigue als einem sie stark behinderndem Symptom. In einer Studie mit Menschen nach einem Herzstillstand berichtete uber die Halfte der Betroffenen auch nach durchschnittlich drei Jahren noch von Fatigue betroffen und eingeschrankt zu sein (Wachelder et al. 2009). In der palliativen Versorgung ist bekannt, dass bis zu 80% der Patienten Fatigue als Symptom wahrnehmen (Berge et al. 2018).
Alle Personen, die aus irgendeinem Grund mit Fatigue leben mussen, sind mit den gleichen Konsequenzen konfrontiert: Es ist ein fur andere unsichtbares Symptom, das schwierig zu behandeln ist, das sich auf die Leistungsfahigkeit in allen Bereichen des Lebens (z.B. in der Familie, bei der Arbeit, im Freundeskreis) auswirkt, zu einem Verlust an Teilhabe und Lebensqualitat fuhrt und eine Quelle psychischer Belastung darstellt (Messmer Ucelli 2012; Mohanasuntharaam/Hui-Ting 2015; Wijesuriya et al. 2012).
Im heutigen Gesundheitswesen sollte die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit verwendeter Interventionen nachweisbar sein. Packer et al. haben 1995 ein Behandlungshandbuch fur Ergotherapeutinnen und -therapeuten publiziert, in dem sie eine uber sechs Wochen laufende, ambulante Gruppenbehandlung fur Menschen mit Fatigue detailliert beschreiben. In dieser Schulung werden die Teilnehmenden angeleitet sich mit der ihnen zur Verfugung stehenden Energie auseinanderzusetzen und energiesparendes Verhalten in ihren Alltag zu integrieren, um die negativen Folgen von Fatigue auf ihre Partizipation und Lebensqualitat zu reduzieren. Verschiedene klinische Studien (Mathiowetz et al. 2005; Sauter et al. 2008) und Meta-Analysen (Asano/Finlayson 2014; Blikman et al. 2013) konnten die Wirksamkeit dieser Behandlung bei Menschen mit Multiple Sklerose (MS) belegen. Dank der positiven Datenlage wurde diese Art der Energiemanagementschulung, neben einer regelmasigen korperlichen Aktivitat und einer eventuellen medikamentosen Behandlung, bei MS-bedingter Fatigue als Behandlungsstandard definiert (NICE 2014). Ahnliche, auf die Optimierung des Energiemanagements im personlichen Alltag orientierte, Schulungsinterventionen gibt es fur Fatigue-Betroffene mit anderen Grunderkrankungen und, falls vorhanden, sind auch diese in den Best Practice Empfehlungen aufgenommen.
Da bis anhin kein Therapiematerial fur die strukturierte Durchfuhrung solch einer ergotherapeutischen betatigungsorientierten Patientenschulung im Gruppensetting in deutscher Sprache vorlag, das im stationaren Rahmen anwendbar ist, wurde ein mehrjahriges Entwicklungs- und Forschungsprojekt lanciert mit dem Ziel, eine Energiemanagement-Schulung (EMS) fur Menschen mit Fatigue zu entwickeln, die wahrend einem kurzen stationaren Rehabilitationsaufenthalt im Gruppensetting durch Ergotherapeutinnen oder -therapeuten durchgefuhrt werden kann. Die im ersten Schritt 2016-17 erfolgte Entwicklung und wissenschaftliche Uberprufung des Therapiematerials fur stationare ergotherapeutische Gruppenschulungen bei MS-bedingter Fatigue, wurde von der schweizerischen MS-Gesellschaft, der Stiftung fur Ergotherapie Zurich, dem schweizerischen ErgotherapeutInnen-Verband, den Kliniken Valens und dem Labor fur Rehabilitationsforschung der Fachhochschule Sudschweiz (SUPSI) finanziert. Die Weiterentwicklung des Materials 2018 zu einer diagnoseunabhangigen Version wird von der Stiftung fur Ergotherapie Zurich, REHAB Basel, dem Labor fur Rehabilitationsforschung der SUPSI und Ergotherapie Impulse unterstutzt und finanziert.
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