Können Gedächtnisinhalte frühe visuelle Wahrnehmungsprozesse beeinflussen? - Untersuchung des Familiarity-Effekts mit ereigniskorrelierten Potentialen

2016 
Die vorliegende Doktorarbeit beschaftigt sich mit der Frage, ob Gedachtnisinhalte fruhe visuelle Wahrnehmungsprozesse beeinflussen konnen. Um diese zu beantworten, wurde der Familiarity-Effekt (FE) mit ereigniskorrelierten Potentialen (EKPs) untersucht. Der FE (z. B. Frith, 1974; Wolfe, 2001) beschreibt das Phanomen, dass etwas Unvertrautes in einem Hintergrund von etwas Vertrautem schneller und mit weniger Fehlern entdeckt werden kann als etwas Vertrautes in einem Hintergrund von etwas Unvertrautem. In sechs Experimenten, die sich in der Art des verwendeten Stimulusmaterials unterschieden, wurde untersucht, zu welchem Zeitpunkt sich der FE (zuerst) manifestiert. Hierzu wurden Elektroenzephalogramme abgeleitet und fur drei EKP-Komponenten (die N1, die posteriore N2 und die P3), die zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahrend des Wahrnehmungsprozesses auftreten, untersucht, in welcher Komponente sich der FE manifestiert. In den Experimenten 1 und 2 wurde – in Anlehnung an Meinecke und Meisel (2014) – der FE in Textursegmentierungsaufgaben untersucht. Dabei handelte es sich bei den fur die Versuchspersonen vertrauten Stimuluselementen um Gruppen des Buchstabens N und bei den unvertrauten Stimuluselementen um Gruppen des gespiegelten Ns (Иs). In Experiment 1, in dem homogene Texturen mit konstantem Abstand zwischen den Stimuluselementen verwendet wurden, manifestierte sich der FE ausschlieslich im Bereich der N2p und damit im Grenzbereich zwischen Bottom-up- und Top-down-Verarbeitungsprozessen. In Experiment 2, in welchem inhomogene Texturen verwendet wurden, konnte daruber hinaus ein Effekt im spaten Bereich der P3 und damit ein typischer Top-down-Effekt gefunden werden. In den Experimenten 3 bis 6 wurden – in Anlehnung Frith (1974) sowie Meinecke und Meisel (2014) – die Stimuluselemente zeilenformig angeordnet. In den Experimenten 3 und 4 wurden – in Anlehnung Frith (1974) sowie Meinecke und Meisel (2014) – die Stimuluselemente zeilenformig angeordnet, und als vertraute Elemente As und als unvertraute Elemente um 180° rotierte As verwendet. Der Buchstabe A wurde ausgewahlt, da er im Gegensatz zu dem in den Experimenten 1 und 2 verwendeten Buchstaben N kein Primarmerkmal enthalt. In den Experimenten 3 und 4 wurde der FE fur alle drei EKPs und damit sowohl im fruhen, im mittleren als auch im spaten Zeitbereich des Wahrnehmungsprozesses gefunden. Allerdings zeigte sich der FE im Zeitbereich der N1 nur fur Targetpositionen am Rand der Fovea und weiter in der Peripherie. Es konnte daher in den Experimenten 3 und 4 gezeigt werden, dass sich der FE unter spezifischen Voraussetzungen (Verwendung von Buchstabenzeilen mit Buchstaben, die kein Primarmerkmal enthalten und Targetdarbietung auserhalb der zentralen Fovea) schon wahrend der ersten Stufe des Informationsverarbeitungsprozesses manifestieren kann. In Experiment 5 wurde untersucht, ob sich der FE zu einem anderen Zeitpunkt manifestiert, wenn in den Stimuluselementen Primarmerkmale enthalten sind. Daher wurden als Stimuluselemente erneut Ns und Иs verwendet, diese wurden aber im Gegensatz zu den Experimenten 1 und 2 zeilenformig angeordnet. Der Unterschied zwischen beiden Buchstaben besteht in der Orientierung der Diagonalen und damit in der Auspragung auf einer Primardimension (fur das Primarmerkmal Orientierung). In Experiment 5 manifestierte sich der FE zuerst im Zeitbereich der N2p sowie zusatzlich im Zeitbereich der P3 und damit spater als in den Experimenten 3 und 4, in denen die Stimuluselemente kein Primarmerkmal enthielten. In Experiment 6 wurde der FE fur Achtelnoten und um 180° rotierte Achtelnoten untersucht, welche symbolartige und seltenere Stimuluselemente als Buchstaben darstellen. Fur diese manifestierte sich der FE – wie fur den Buchstaben A sowohl im Bereich der N1, der N2p und der P3. Der Effekt im Zeitbereich der N1 konnte wie fur den Buchstaben A nur fur Targetdarbietungen am Rand der Fovea gefunden werden. Die Erfahrung mit Notenmaterial beziehungsweise mit Achtelnotensymbolen hatte keinen Einfluss auf die Starke des FEs. Es konnte daher in Experiment 6 gezeigt werden, dass sich der FE auch bei Verwendung von Symbolen schon wahrend der ersten Stufe des Wahrnehmungsprozesses manifestieren kann. Als Gesamtergebnis wird geschlussfolgert, dass der FE unter spezifischen Voraussetzungen (hochuberlernte Stimuluselemente wie Buchstaben oder Symbole ohne Primarmerkmale) schon fruh im Wahrnehmungsprozess auftreten kann und daher bereits die fruhe visuelle Informationsverarbeitung von Gedachtnisinhalten beeinflusst werden kann.
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