Polypharmazie als Risiko: eine rechtsmedizinische Untersuchung verstorbener Altenheimbewohner

2020 
Pflegebedurftige Menschen werden in Deutschland zu 25 % in Pflegeeinrichtungen versorgt; sie sind uberwiegend multimorbid und demenziell erkrankt. Multimorbiditat ist Hauptursache einer Polypharmazie. Mit der Zahl verordneter Arzneistoffe steigt die Interaktionswahrscheinlichkeit stark an. Bei Hochbetagten kann es auserdem uber den verlangsamten Abbau zur Wirkstoffkumulation mit erhohten Risiken fur unerwunschte Arzneimittelereignisse (UAE) kommen. Eingeschlossen wurden in Alten‑/Pflegeheimen verstorbene Bewohner, bei denen kein Verdacht auf eine Medikamentenuberdosierung bestand und die in den Jahren 2013–2015 im Institut fur Rechtsmedizin der Universitat Munchen obduziert wurden. Chemisch-toxikologische Untersuchungen auf Arznei- und Suchtstoffe erfolgten in einem akkreditierten forensisch-toxikologischen Labor bei Ubersichtsanalysen mithilfe der Flussigkeitschromatographie in Kombination mit hochauflosender Massenspektrometrie, bei Blutproben mithilfe der Flussigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie. Anhand der mediQ©-Datenbank und den Fachinformationen der Arzneimittelhersteller wurde gepruft, ob Kontraindikationen (KI) fur kombinierte Verordnungen bestanden. Abschliesend erfolgte ein Abgleich mit vorliegenden aktuellen Medikationsplanen. Die erhobenen Daten wurde deskriptiv mit dem Statistikprogramm SPSS (IBM, Version 23) ausgewertet. In 52 % der Falle lag eine Polypharmazie vor. Am haufigsten wurden kardiovaskular wirksame Arzneistoffe und Nichtopioidanalgetika nachgewiesen, gefolgt von Antipsychotika, Antidepressiva, Opioidanalgetika und Hypnotika/Sedativa. Pro Fall wurden durchschnittlich 2 zentral wirksame Arzneistoffe identifiziert. In 81 % der Falle ergaben sich potenzielle Interaktionen bei diesen Substanzpaaren. Haufigste relevante Interaktion war eine QTc-Zeit-Verlangerung. Fur 70 % der Arzneistoffpaare mit hochrelevanten Interaktionsrisiken waren bestehende absolute KI zur gleichzeitigen Abgabe nicht berucksichtigt worden. Bei uber 80 % des Kollektivs ergaben sich Risiken fur Arzneimittelinteraktionen. In hohem Prozentsatz fanden sich Arzneistoffpaare, deren Kombination kontraindiziert war. Als haufigste Wirkstoffklassen wurden Antipsychotika und Antidepressiva mit potenziell riskanten UAE nachgewiesen. Citalopram war bei den absoluten KI zur Kombination mit anderen Wirkstoffen am haufigsten vertreten, niedrigpotente Neuroleptika am haufigsten bei den relativen KI. Rechtlich ist kritisch zu bewerten, dass nicht arztlich verordnete Arzneistoffe bei kontraindizierten Kombinationen nachgewiesen wurden. Dies kann straf- und zivilrechtliche Folgen fur die Verantwortlichen haben.
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