Kulturvergleichende Studie über die Menschzeichnungen deutscher und palästinensisch-israelischer Kinder- Kinderzeichnung als Ausdruck kultureller Werte

2011 
In der vorliegenden Arbeit wird der Zusammenhang zwischen den Normen und Werten der palastinensischen und der deutschen Kulturen und den Menschzeichnungen der in ihnen lebenden Kinder erforscht. Dabei werden die Erkenntnisse aus zwei Disziplinen, namlich der "Cross Cultural Psychology" (bzw. "Kulturvergleichender Psychologie"; Thomas, 2003) und der Kinderzeichnungsforschung zusammengestellt. Unter dieser Forschungslinie wird die Kinderzeichnung als eine symbolische Mitteilung verstanden, welche die psychologische Bedeutung des Korpers und seiner Teile zum Ausdruck bringen (Abraham, 1978). In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass Symbole "kulturalistische" (Knobloch, 2001; Lange, 2001; Cassirer, 1996) Bedeutungen vermittelt, die von den Werten und Normen der jeweiligen Kultur abhangen. Diese Bedeutungen kommen durch den Mechanismus der Projektion zum Ausdruck (Hammer, 1958; Schetty, 1974). Wahrend der Forschungsgeschichte der Kinderzeichnung bekamen die "Abweichungen" (Rimerman, 1995; "errors", Winner, 2006) der Darstellungen der einzelnen Konfigurationen und des Raumes in der Kinderzeichnung von der wahrgenommenen Realitat eine bedeutende Aufmerksamkeit. Ahnlich bekam auch die Menschzeichnung der Kinder ein besonderes Forschungsinteresse (vgl. Cox, 1993; Schonmackers, 1996; Koeppe-Lokai, 1996). Bei der Erklarung der Abweichungen in der Menschzeichnung der Kinder im Vergleich zur naturgetreuen Erscheinung der menschlichen Figur entstanden drei Hauptansatze, namlich eine kognitionspsychologischer (Luquet, 1913, 1927; Goodenough, 1926; Piaget & Inhelder, 1996; Harris, 1963; Freeman, 1972, 1980, 1987; Thomas & Tsalimi, 1988), ein tiefenpsychologischer (Machover, 1949; Hammer, 1958; Koppitz, 1968; Schetty, 1974; Abraham, 1978; Naglieri et al, 1991) und ein kunstlerischer (und kulturspezifischer; Arnheim, 1956, 1978; Winner, 1989, 2006; Golomb, 1992; Willats, 1977, 2008; Wilson ( Wilson, 1977, 1981), die unterschiedliche Thesen vertreten. Nach der Darstellung der wichtigsten Thesen dieser drei Ansatze und der wichtigsten Unterschiede in den Normen und Werten "individualistischer" und "kollektivistischer" Kulturen unter kulturvergleichender psychologischer Perspektive (Thomas, 2003; Dwairy, 2007; Hofstede, 1980; Hofstede & Hofstede, 2006; Markus & Kitayama, 1991, 2001; Triandes, 1989, 1995; Triandes et al. 1985, 1988, 2001; Grossmann, 2003) werden kulturvergleichende Studien der Kinderzeichnungsforschung unter kulturvergleichender psychologischer Forschungslinie reinterpretiert. Insbesondere werden die Studien herausgestellt, die die Normen und Werte der Kulturen in der Erklarung der Unterschiede (Abweichungen) zwischen den Menschzeichnungen der Kinder aus diesen Kulturkreisen heranziehen (Koppitz & Moreau, 1968; Koppitz & Casullo, 1983; Andersson, 1995; Andersson & Aronsson, 1996; Aronsson & Junge, 2001; Teichmann & Zafrir, 2003; Unger-Heitsch, 2001; Al-Krenawi & Slater, 2007). Die Ergebnisse der Studie uber die Menschzeichnungen von 46 neunjahrigen palastinensischen und 51 gleichaltrigen deutschen Kinder zeigen, dass arabische Kinder signifikant mehr als deutsche Kinder Gesichtsdetailzeichen darstellen. Dabei wurde jedoch festgestellt, dass die Durchschnittsgrose des Kopfes in beiden kulturellen Gruppen identisch ist. Diese Unterschiede wurden auf die geforderte soziale Orientierung (Gesicht und seine Teile) bei den kollektivistischen palastinensischen Kindern zuruckgefuhrt. In der Darstellung der Arme, der Hande und der Finger zeigen arabische Kinder signifikant mehr als deutsche Kinder unrealistische abweichende Darstellungen. Besonders auffallig sind die unrealistischen Verbindungen der Arme mit dem Rumpf, die jedoch bei der Verbindung des "Halses mit dem Rumpf" und bei der Verbindung der "Beine mit dem Rumpf" nicht beobachtet wurden. Diese Abweichungen korrespondieren mit der geforderten Abhangigkeit des Individuums in der arabischen Kultur. Zu den wichtigsten Abweichungen in den Menschzeichnungen der palastinensischen Kinder zahlt die quadratische unrealistische Darstellung des Rumpfes. Arabische Kinder zeichnen signifikant mehr als deutsche Kinder unrealistische Rumpfe, die meistens so breit wie lang oder breiter als langer sind. Arabische Kinder zeichnen gleichzeitig keinen oder undeutlichen Beckenbereich. Zusammenfassend wird behauptet, dass diese quadratischen unrealistischen Rumpfe durch die Auslassung des Beckenbereiches entstanden, weshalb der Verfasser sie als "abgeschnittene Rumpfe" bezeichnet. Auch in diesen zwei Merkmalen wird ersichtliche, dass ihre abweichenden Darstellungen mit der strikten Tabuisierung sexueller Bedeutungen in der arabischen Kultur korrespondieren.
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