Lesekompetenz in PISA 2012 : Veränderungen und Perspektiven

2014 
Lesen ist eine Schlusselkompetenz in der Wissensgesellschaft. Der grote Teil des Wissens wird in Texten unterschiedlicher Art – mundlich, schriftlich, in Dokumenten oder im Internet – gespeichert und transportiert. Uber Lesen kann die in Texten enthaltene Information erschlossen und in Wissen umgesetzt werden. Lesekompetenz ist somit auch eine notwendige Voraussetzung fur Lernen und fur die gesellschaftliche wie kulturelle Teilhabe. Als solche muss sie unterschiedlichen Textsorten und Leseanlassen gerecht werden. So sollen zum Beispiel Zeitungsartikel, amtliche Schreiben, personliche Briefe oder Vertrage genauso erfolgreich erfasst werden wie Fahrplane, Schulbuchtexte oder Einkaufslisten. Beim Lesen geht es dabei nicht nur um das Entziffern von Texten, sondern auch um das Verstehen und Erkennen der wesentlichen Aussagen sowie das Interpretieren und kritische Reflektieren moglicher Botschaften. Entsprechend reicht die Lesekompetenz, so wie sie bei PISA erhoben wird, weit uber eine einfache, technische Lesefertigkeit hinaus. Ein Verdienst der PISA-Rahmenkonzeption zur Lesekompetenz besteht unter anderem darin, auf verschiedene Facetten von Lesekompetenz hinzuweisen, die fur eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und fur Bildungsprozesse von Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund waren die ernuchternden Ergebnisse, die in Deutschland bei PISA 2000 im Test zur Lesekompetenz erzielt wurden, besonders aufruttelnd. Im Unterschied zu den Testbereichen Mathematik und Naturwissenschaften gab es zudem fur die Lesekompetenz in Deutschland keine „Warnung“ durch eine vorangegangene Untersuchung wie TIMSS, die auf Schwachen beim Lesen hingewiesen hatte (vgl. Kapitel 2 und 6; vgl. auch Baumert et al., 1997). Umso groser war der „Schock“, als bei PISA 2000 die Leseleistungen der Funfzehnjahrigen in Deutschland deutlich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten lagen (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Auf PISA 2000 reagierend formulierte die KMK (2002, S. 6) sieben vorrangige Handlungsfelder im Bildungsbereich, die zum Beispiel mit „Masnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz“, „durchgangiger Verbesserung der Lesekompetenz“ oder auch „Masnahmen zur wirksamen Forderung bildungsbenachteiligter Kinder“ auf die Behebung von Leseschwachen zielten. Verschiedene Initiativen – vorwiegend auf der Ebene einzelner Lander – zur Forderung der Lesekompetenz folgten, wie beispielsweise „Bucherwurmer in NRW“, „Lust auf Lesen“ in Thuringen, „Lesen macht stark“ in Schleswig-Holstein oder auch „Die BremerLeseLust“, die vorrangig in der Grundschule angesiedelt waren beziehungsweise sind (vgl. Artelt et al., 2007; vgl. auch Redder et al., 2011). Eine ebenfalls notwendige Forderung, die uber die Grundschulzeit hinausgeht, verlangte jedoch ein Umdenken, da die Entwicklung einer hinreichenden Lesekompetenz haufig als Aufgabe der Grundschulen angesehen wurde (vgl. Staatsinstitut fur Schulqualitat und Bildungsforschung, 2005). Dass auch jenseits der Grundschule eine kontinuierliche und weiterfuhrende Leseforderung erforderlich ist, belegen unter anderem Befunde der internationalen Schulleistungsstudie IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung), in der die Lesekompetenz am Ende der vierten Jahrgangsstufe erfasst wird. Hier zeigte sich wiederholt, dass die Leseleistungen der Schulerinnen und Schuler am Ende der Grundschulzeit in Deutschland (statistisch signifikant) uber dem mittleren internationalen Leistungsniveau liegen, auch bei Berucksichtigung unterschiedlicher Konstellationen von Vergleichsstaaten (z. B. Bos, Tarelli, Bremerich-Vos & Schwippert, 2012). Damit stellte sich bei der Interpretation der PISA-Ergebnisse immer wieder die Frage, ob die in der Grundschule begonnene Leseforderung in der Sekundarstufe gezielt und wirksam fortgesetzt wird. Ausgehend von einem Verstandnis von Lesekompetenz als facherubergreifender Fahigkeit, die in allen Unterrichtsfachern gefordert wird und gefordert werden sollte, wurde mit dem KMK-Projekt „ProLesen – Auf dem Weg zur Leseschule“ von 2008 bis 2010 ein deutschlandweiter Versuch gestartet, Konzepte und Materialien zur facherubergreifenden Forderung der Lesekompetenz zusammenzustellen (Bayerisches Staatsministerium fur Unterricht und Kultus und Staatsinstitut fur Schulqualitat und Bildungsforschung, 2010). Die konkrete Umsetzung von umfassenden Masnahmen zur Leseforderung, aber auch zur Sprachforderung und Sprachdiagnostik, soll allerdings erst jetzt deutschlandweit durch das von Bund und Landern gemeinsam getragene Projekt BISS (Bildung durch Sprache und Schrift) erfolgen (vgl. Schneider et al., 2013). Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt zur Forderung von Lesekompetenz nach PISA 2000 ist in der Festlegung von Zielsetzungen und Kompetenzanforderungen (hier fur das Fach Deutsch) in Form von landerubergreifenden Bildungsstandards zu sehen, die verbindlich eingefuhrt wurden. In den Standards der Kultusministerkonferenz fur den Mittleren Schulabschluss (KMK, 2004, S. 13f.) wird das Lesen als ein zentraler Kompetenzbereich im Fach Deutsch herausgestellt, welcher Fahigkeiten wie „Strategien zum Leseverstehen kennen und anwenden“ oder auch „Texte verstehen und nutzen“ umfasst. Das bundesweite „Wachrutteln“ durch PISA 2000 und die damit einhergehende Etablierung von Forderansatzen und bundesweiten Bildungsstandards schien erste, wenn auch kleine Fortschritte mit sich zu bringen. So erreichten die Funfzehnjahrigen in den folgenden PISA-Erhebungsrunden (2003, 2006, 2009) Testergebnisse, die nunmehr im mittleren Leistungsbereich der OECD-Staaten lagen (Schaffner, Schiefele, Drechsel & Artelt, 2004; Drechsel & Artelt, 2007; Naumann, Artelt, Schneider & Stanat, 2010). Dennoch verbesserte sich die Lesekompetenz der Jugendlichen in Deutschland im Vergleich zu den anderen Kompetenzbereichen eher schleppend. Anlass zur Sorge gaben insbesondere die immer noch hohen Anteile von Funfzehnjahrigen, deren Lesekompetenz auf den unteren Kompetenzstufen lag. Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie die in PISA 2012 getestete Lesekompetenz der funfzehnjahrigen Schulerinnen und Schuler in Deutschland im internationalen Vergleich ausgepragt ist, ob Fortschritte in der Entwicklung seit PISA 2000 zu verzeichnen sind und worin weitere Herausforderungen bestehen. Dazu wird zunachst naher erlautert, was unter Lesekompetenz zu verstehen ist und wie diese bei PISA 2012 erfasst wurde. Anschliesend werden die Ergebnisse des internationalen Vergleichs vorgestellt, ehe genauer auf die Befunde fur die Schulerinnen und Schuler in Deutschland eingegangen wird.
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