Mittelalterliche Wallfahrt in Sachsen - ein Arbeitsbericht

2002 
Einfuhrung „Also mit den Wallfarten, da giengen teglich newe auff, zum Grimtal, zur Eichen [=Eicha], Birnbaum [=Rotha], zu Regensburg. Und so viel unser liebe frawen. Es war schier keine kapelle odder altar, es wolt eine walfart daselbs auffgehen. Undd lieffen die leute, als weren sie toll, aus dem dienst und gehorsam, das mans greiffen mocht, es ware teuffels gespenst ...“ (Martin Luther: „An die gantze geistlichkeit zu Augsburg versamlet auff dem Reichstag Anno 1530, Vermannung“).1 Der vorliegende Text ist die Kurzfassung eines kunsthistorischen Arbeitsberichtes zu „Mittelalterlicher Wallfahrt in Sachsen“2, der in den „Arbeitsund Forschungsberichten zur Sachsischen Bodendenkmalpflege“ des Landesamtes fur Archaologie in Dresden erscheinen wird. Die ausfuhrliche Fassung setzt sich zusammen aus einer Materialsammlung, die in einem Zeitraum von 15 Monaten zusammengetragen wurde, und einem auswertenden Aufsatz3 . Die Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollstandigkeit, sondern will eine erste Basis legen fur weitere Untersuchungen, vor allem von historischer und theologischer Seite. Vorrangig ausgewertet wurden theologische, historische und kunsthistorische Abhandlungen sowie publiziertes Quellenmaterial zu Sachsen und Legenden. Schon jetzt, nach dieser ersten Erhebung, ergeben sich weitreichende Ergebnisse. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsens liesen sich – von der gegenwartigen Forschung der verschiedenen Disziplinen bisher weitgehend ubersehen – eine Vielzahl mittelalterlicher Wallfahrtsorte nachweisen. In eine Landkarte eingetragen erlauben die 73 Orte ein prazisiertes und deutlich anschaulicheres Bild der mittelalterlichen Topographie in Sachsen. Sichtbar wird eine bedeutende Facette einer „christlichen Landschaft“4. Die christliche Wallfahrt ist bekanntlich eines der wichtigsten sozialhistorischen Phanomene mittelalterlicher Frommigkeit. Der Glaube an diesseitige Wunder und das Erlangen des jenseitigen Seelenheils stellen dabei die wichtigsten individuellen Motive fur das Wallfahrtswesen dar. Zu nennen sind Devotions-, Dankund Bittwallfahrten sowie Busund Strafwallfahrten. Als weitere mogliche Beweggrunde konnen Note und Sorgen in der Heimat, aber auch Reiseund Abenteuerlust sowie religios-politische Interessen und der Wunsch, sich als Ritter und zukunftiger Heidenkrieger zu beweisen, genannt werden. Die Beschaftigung mit mittelalterlicher Wallfahrt in Sachsen sieht sich unmittelbar mit dem Vergessen bzw. einem Nichtwissen konfrontiert. Die Schube der Reformation im 16. Jahrhundert haben nicht nur die Wallfahrten selbst beendet, sondern auch die lokalen Uberlieferungen zerschnitten. So existieren vielerorts keine Kirchenbucher und Berichte uber Volksfrommigkeit aus der Zeit vor der Reformation mehr. Im heute weitgehend evangelischen Sachsen ist als katholische Enklave nur die Oberlausitz mit dem noch heute unterhaltenen Zisterzienserinnenkloster St. Marienstern und dem seit dem 15. Jahrhundert vom Kloster betreuten, nach wie vor lebendigen Wallfahrtsort in Rosenthal geblieben5. Andernorts wurden im Zuge der Reformation die verehrten Heiligenreliquien ebenso aus den Kirchen verbannt und/oder vernichtet wie zahlreiche Bildwerke in den Bildersturmen zerstort oder im Zuge protestantischer Neuausstattungen der Kirchen ausrangiert. So lies beispielsweise Superintendent Seibel in Annaberg bei Einfuhrung der Reformation die Reliquien aus der sudlichen Sakristei der Annenkirche wegbringen und „an einem verborgenen Orte“ beisetzen, „damit das Volk, welches ohnedem sehr zum Aberglauben geneigt, dieselben nicht mehr sehen und sich daran argern sollte“6. Auch an anderen Orten wurden die „Gotzen“ – so die diffamierende Benennung von reformatorischer Seite – zerstort, vergraben oder an katholische Abnehmer weiter gegeben bzw. verkauft, ihre kostbaren und meist kunstfertigen Hullen und Gefase eingeschmolzen, verkauft oder zweckentfremdet. Nur in Ausnahmefallen konnen daher heute in sachsischen Museen aufbewahrte Kunstwerke, die einst in
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