Salvatore Vendittelli: Carmelo Bene fra teatro e spettacolo. A cura di Armando Petrini.

2016 
Das 2015 erschienene Buch Carmelo Bene fra teatro e spettacolo (Carmelo Bene zwischen Theater und Schauspiel) reiht sich in einen Schwung von Publikationen ein, die nach dem zehnten Todestag des ausergewohnlichen italienischen Theaterkunstlers Carmelo Bene (1937–2002) – Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller, Filmemacher, Philosoph in einer Person – in groser Zahl auf den italienischen Buchmarkt kamen. Das Besondere an diesem fast quadratisch gestalteten Buch ist einerseits die Konzentration auf die ersten kunstlerischen Jahre von Bene, eine Phase, die sich vorwiegend durch skandalose Theaterinszenierungen und -experimente auszeichnete. Andererseits sind es die Schwarz-Weis-Fotografien, die einen Einblick in einige der Auffuhrungen bieten oder teils noch handisch illustrierte Werbeplakate dokumentieren. Und drittens ist die Attraktion des Buches der Autor selbst, der ein Zeitgenosse und Kunstlerkollege von Carmelo Bene war. Herausgegeben und betreut vom Theaterwissenschafter Armando Petrini (DAMS in Turin) gelingt es dem Maler, Bildhauer und Buhnenbildner Salvatore Vendittelli (geb. 1927) eine gut strukturierte, chronologische und uber Anekdoten hinausgehende Darstellung des kunstlerischen Schaffens mit Fokus auf Buhnenbild und Ausstattung und damit einen speziellen Beitrag zur italienischen Theatergeschichtsschreibung der sechziger Jahre zu liefern. Salvatore Vendittelli lernt Carmelo Bene Anfang der sechziger Jahre in Rom kennen, die beiden schatzten sich sogleich: "Ci fu subito una reciproca simpatia" (sofort kam eine gegenseitige Sympathie auf, S. 4). Ihre erste gemeinsame Arbeit war Gregorio. Cabaret 800 und bereits Seite 7 zeigt eine diesbezugliche Skizze Vendittellis aus dem Jahr 1961. Freundschaft und Arbeit halten uber zehn Jahre an; aus dieser Erfahrung speist sich das Buch. Aus zeitlicher Distanz heraus entstanden, erfreut es sich einer klareren Sichtweise auf die Ereignisse, wenngleich immer wieder freundschaftlich verbundene Geschichten zwischen den Beschreibungen und Darstellungen der einzelnen Inszenierungen zu lesen sind. Der erzahlerischen Dokumentation der ersten Auffuhrungen, angelegt in einzelnen Kapiteln, ist eine kleine, zweiseitige Chronologie ebendieser Auffuhrungen von Carmelo Bene 1961–1971 vorangestellt. Dass Bene nach dieser noch eng mit den "cantine romane" (Kellertheaterbuhnen in Rom) verbundenen Zeit sowie erster Experimentalfilme – etwa grose Shakespeare-Auseinandersetzungen, Klassikerzertrummerungen –, poetisch-barocke Auffuhrungen auf grosen Theaterbuhnen vorgenommen und uber weitere dreisig Jahre die italienische Theatergeschichte bereichert hat, bleibt angesichts des personlichen Zugangs des Autors vorerst ausgespart. An der einen oder anderen Stelle auf den letzten Seiten wird dann schlieslich darauf Bezug genommen bzw. klingt es retrospektiv doch durch: zum Beispiel wenn Vendittelli daruber reflektiert, dass Bene ab 1971 in Italien und international auf grosen Buhnen Anerkennung gefunden hat, wahrend er selbst das harte Leben eines Buhnenbildners mit Pendeln und wenig Gehalt zugunsten einer Lehrerstelle aufgab. Und auch das – naturlich – exaltierte Ende ihrer Freundschaft kommt zur Sprache. Die Erzahlungen und Dokumentationen der einzelnen Arbeiten Carmelo Benes in der genannten Dekade sind umfangreich, liebevoll, humorvoll und detailliert erzahlt. Das Gedachtnis des Autors brilliert mit einzelnen Erinnerungen an Beteiligte, Gesprache, Entwurfe, Vorkommnisse und Ablaufe wahrend der Proben und Auffuhrungen, teils auch der Rezeption. Abgesehen vom ersten gemeinsamen Stuck und der Entstehungsgeschichte von Benes Laboratorium, "era diventato in moda, un luogo di rottura" (es war en vouge, ein Ort des Bruchs, S. 25), reichen die Erinnerungen beispielsweise von Benes erstem Hamlet uber den 'neuen Hamlet', Pinocchio, Benes Beschaftigung mit Majakovskij oder Manon, bis zur filmischen Umsetzung seines Romans Nostra Signora dei Turchi (Unsere liebe Frau von den Turken), zu Don Giovanni oder Faust oder Margherita (und noch ein paar anderen). Benes Theaterschaffen seiner jungen Jahre ist hier ausfuhrlich dokumentiert und vorgestellt und nicht nur mit verklartem Blick beschrieben. Es finden sich auch verschiedene Ruckschlage ("avevano negato il premio di qualita per Nostra Signora dei Turchi"; die Qualitatsauszeichnung fur den Film Unsere liebe Frau von den Turken wurde abgelehnt, S. 112). Es wird also nicht nur eine Erfolgsstory erzahlt, wenngleich die Anerkennung des Œuvres von Carmelo Bene bis zum Schluss aufrecht bleibt ("Carmelo Bene [...] ha scritto una pagina della storia del teatro e dello spettacolo italiano, compreso il suo 'rifiuto' tout court", Carmelo Bene ist Teil der Theatergeschichte und Geschichte des Schauspiels, einschlieslich seiner Verweigerung tout court, S. 147). Parallel dazu erhalten die Lesenden Einblick in die Arbeiten und das Kunstlerleben des Autors als Buhnenbildner und Maler sowie in die Verhaltnisse des damaligen italienischen Kulturschaffens, das sich wie in anderen europaischen Landern vorwiegend auf die Hauptstadt, also auf Rom, konzentrierte und damit Kunstlerinnen und Kunstler samtlicher Sparten – auch jene des Theaters anzog ("Roma era la capitale di questo fermento"; Rom war die Hauptstadt der Kreativitat, S. 145). Diese arbeiteten eng mit Galerien, mit Institutionen wie EIST (Ente italiano per gli scambi teatrali con l'estero; Institut fur Theateraustausch mit dem Ausland), ETI (Ente teatrale italiano; Italienische Theaterabteilung des Kunstministeriums) und der Universitat (Universita di Sapienza) zusammen. Vendittelli verweist bei seinen systematisch aufbereiteten Aufzeichnungen immer wieder auf Aussagen von Bene selbst. Vornehmlich werden dabei Benes Lebenserinnerungen, niedergeschrieben gemeinsam mit Giancarlo Dotto in La Vita di Carmelo Bene (Das Leben Carmelo Benes) herangezogen; teilweise werden sie auch eingebettet in Theatergeschichte, wie etwa L'avantguardia teatrale in Italia (Die Theateravantgarde in Italien) von Franco Quadri oder recht unauffallig mit Pressestimmen erganzt. Dies ermoglicht, die Erzahlungen – von der ersten Idee uber die Umsetzung bis zu einer Auffuhrung – als Dokumentation und nicht nur als Memoiren Salvatore Venditellis zu verstehen. Ein Werk- und Namensregister am Ende ist neben dem chronologisch nach Auffuhrungen aufgebauten Inhaltsverzeichnis sehr hilfreich, ebenso die vom Herausgeber Armando Petrini verfasste Einleitung zum Gesamtkontext von Carmelo Bene fra teatro e spettacolo. Insgesamt ermoglicht diese Lekture ein leichtes Eintauchen in die wilden sechziger Jahre des in Aufbruchsstimmung befindlichen Roms – gefuhrt durch die Erinnerungen von Salvatore Vendittelli und entlang einer Auffuhrungsgeschichte des ersten Aufbluhens eines der extravagantesten Theaterschaffenden im Italien des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Carmelo Bene.
Keywords:
    • Correction
    • Source
    • Cite
    • Save
    • Machine Reading By IdeaReader
    0
    References
    0
    Citations
    NaN
    KQI
    []