Freiheitliche Pädagogik. Bildung und Erziehung in frühsozialistischen, libertären und reformpädagogischen Kontexten

2013 
Die Texte in diesem Band veranschaulichen die Facettenvielfalt und Heterogenitat padagogischer und schulischer Ideen und Konzepte, die sich heute als ‚freiheitspadagogische‘ Ansatze, als ‚Freiheitspadagogik des 19. und fruhen 20. Jahrhunderts‘ einstufen lassen. An ausgewahlten Beispielen wird verdeutlicht, dass es in diesem Zeitraum eine Tradition von Gegenentwurfen zur etatistischen Bildungskultur gegeben hat, die damals starken Repressionen seitens der Kirchen und der Politik ausgesetzt war. Obwohl es durchaus moglich ist, die Geschichte der ‚Freiheitspadagogik‘ im 20. Jahrhunderts bis heute sowohl anhand von weiteren Exempeln als auch in systematischen erziehungswissenschaftlichen Kontexten fortzuschreiben, sind die freiheitspadagogischen Versuche als Gegenentwurfe zu den jeweiligen, sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts ausbildenden Schulsystemen nicht in den Lehrkanon fur die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, Sozialpadagogen und Schulpsychologen aufgenommen und ebensowenig in die Diskurse zu Fragen der padagogischen Professionalisierung eingebaut worden. Die Beitrage des Bandes gehen auf ein Symposium im Rahmen der internationalen ISCHE 34-SHCY-DHA-Konferenz vom Juni 2012 in Genf mit dem Titel „Internationalization in Education (18th – 20th Centuries)“ zuruck. In diesem Rahmen haben die Autoren mit den hier uberarbeitet abgedruckten Beitragen das Symposium „Libertarian educators (1880-1920) in an international context“ gestaltet. Maurice Schuhmann (Paris) zeichnet den padagogischen Diskurs im Fruhsozialismus bei Henri de Saint-Simon, Charles Fourier und Robert Owen nach und stellt die Verbindung zu spateren libertaren bzw. anarchistischen Konzepten von Bildung und Erziehung her. Er illustriert damit den „Vorfruhling“ (Max Nettlau) libertarer, ‚freiheitspadagogischer‘ Padagogikkonzepte im Fruhsozialismus. Hans-Ulrich Grunder (Basel) beschaftigen drei „Klassiker“ der anarchistischen (Schul)Padagogik in Frankreich und der Schweiz im Zeitraum von 1880 bis 1919: Paul Robin und das Waisenhaus in Cempuis (ca. 100 km nordlich von Paris), Sebastian Faure und seine Schule La Ruche, eine ‚commune‘, in Rambouillet (in der Nahe von Paris) und Jean Wintsch und dessen anarchosyndikalistische Ecole Ferrer in Lausanne. Ulrich Klemm (Augsburg) recherchiert die internationale Rezeption der libertaren Reformpadagogik von Leo Tolstoi und verdeutlicht, dass Tolstois Schulversuch auf seinem Landgut Jasnaja Poljana von 1859 -1862 bis in die zweite Halfte des 20. Jahrhunderts hinein zu einem Orientierungspunkt fur freiheitliche Schulprojekte weltweit wurde, nicht zuletzt deswegen muss man ihn heute als einen Klassiker einer Freiheitspadagogik diskutieren. Im Beitrag von Armin Bernhard (Essen) steht der heute (wieder) vergessene, aber  bedeutende, aus Osterreich stammende sozialistische Reformpadagoge und Austromarxist Otto Felix Kanitz (1895-1940 ermordet im KZ Buchenwald) im Mitterlpunkt. Im Kontext der sozialistischen Kinderfreundebewegung initiierte er 1919 die erste Ferienkinderrepublik in Osterreich – einen „Kinderstaat“, in dem das Prinzip der Selbstregierung konstitutiv war. Spater war er in der Erizeherinnenausbildung tatig und zudem verantwortlich fur die Zeitschrift „Der sozialistische Erzieher“. Kanitz gilt als Begrunder und Theoretiker einer undogmatischen sozialistischen Padagogik.
    • Correction
    • Source
    • Cite
    • Save
    • Machine Reading By IdeaReader
    0
    References
    0
    Citations
    NaN
    KQI
    []