Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich
2021
Diese Erhebung untersucht Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Osterreich. Sie wurde am Institut fur Soziologie und empirische Sozialforschung der WU durchgefuhrt. Diese Studie baut auf zwei vorangegangenen Erhebungen zum selben Themenbereich auf und soll damit eine langerfristige Betrachtung der Entwicklungen ermoglichen. Die erste ist die Erhebung „Civil Society Index – Rahmenbedingungen fur die Zivilgesellschaft in Osterreich“ aus 2014 (More-Hollerweger et al., 2014). Die zweite ist das Update Civil Society Index. Rahmenbedingungen fur die Zivilgesellschaft in Osterreich aus dem Jahr 2019 (Simsa et al., 2019). Wahrend 2014 v.a. Entwicklung der offentlichen und privaten Finanzierung, demokratische Rechte und Leistungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSO) eine grose Rolle spielten, standen im Jahr 2019 die Auswirkungen einer tendenziell autoritaren Politik auf die Zivilgesellschaft im Vordergrund, die starke restriktive Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft hatte. Bei der aktuellen Erhebung ging es daher zunachst um eine Analyse des Regierungswechsels zu Beginn des Jahres 2020, der zu einer Koalition von OVP und den Grunen fuhrte. Im Verlauf des Jahres gerieten die Auswirkungen der Covid-19 Krise in den Vordergrund. Mit Zivilgesellschaft beziehen wir uns auf die Sphare zwischen Staat, Wirtschaft und Privatem, in der Menschen ihre Anliegen kollektiv selbst vertreten und zu gestalten versuchen (Simsa, 2013). Die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen haben hohen Nutzen fur die Gesellschaft. Neben der gemeinwohlorientierten Erstellung von Dienstleistungen starken sie auch Vielfalt, Partizipation und Integration. Die Bedeutung einer pluralistischen Zivilgesellschaft fur Demokratie ist unumstritten. Die Demokratie braucht somit die Zivilgesellschaft, allerdings ist die Zivilgesellschaft nicht zwangslaufig demokratisch. Gerade im letzten Jahr gewannen auch illiberale zivilgesellschaftliche Bestrebungen an Bedeutung, vor allem die sogenannten Querdenker. Diese waren in der vorliegenden Erhebung nur am Rande Thema, v.a. beim Abschnitt zu Verhandlungsfreiheit. Vielmehr fokussiert der Bericht in der Tradition der vorangegangenen Erhebungen auf jene Bereiche der Zivilgesellschaft, die den Habermas‘schen Anforderungen an Pluralitat, Toleranz und Diskursivitat entsprechen (Habermas, 1992). Fur das Funktionieren von Zivilgesellschaft sind politische Rahmenbedingungen in vielerlei Hinsicht entscheidend. Abgesehen von allgemeinen Menschenrechten wie Vereins- oder Meinungsfreiheit, spielen Moglichkeiten der Partizipation in Gesetzgebungsverfahren, die Informationspolitik der Regierung, die Qualitat des Sozialstaates und die finanzielle Unterstutzung zivilgesellschaftlicher Organisationen (CSOs) durch die offentliche Hand eine wichtige Rolle. In Anschluss an die Studie von 2019 werden daher die folgenden Themenbereiche analysiert: Das gesellschaftliche Klima in Bezug auf die Zivilgesellschaft;Partizipation, also politische Beteiligung der Zivilgesellschaft;Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen;Die menschenrechtliche Situation;Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. Wahrend 2019 von den Befragten ein sehr homogenes Bild gezeichnet wurde, sind derzeit die Eindrucke und Befunde hochst divers. Manche Befragte beklagen den mangelnden Dialog mit der Politik, andere wiederum sehen ihn als wesentlich besser und intensiver als 2019. Ahnlich ist es mit der Partizipation sowie in Bezug auf die finanzielle Situation. Deutlich ist, dass sich generell das Klima in Bezug auf die Zivilgesellschaft verbessert hat. Es gibt kaum mehr Abwertungen oder Diffamierungen von Seiten der Politik. Die Pandemie hat zudem die hohe Bedeutung von Dienstleistungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen verdeutlicht, die daher vermehrt geschatzt werden. Armutsgefahrdung und Arbeitslosigkeit haben soziale Probleme starker in die Mitte der Gesellschaft rucken lassen und die pandemiebedingte Einschrankung von Freiheitsrechten hat auch die Bedeutung von Menschenrechten starker n das Bewusstsein geruckt. Damit sind wichtige Themen der Zivilgesellschaft auch verstarkt prasent und akzeptiert. Gegenwartig wird von vielen Befragten auch ein besserer Diskurs mit der Politik wahrgenommen, wobei diesbezuglich grose Unterschiede zwischen den beiden Regierungsparteien genannt werden. Das verbesserte Klima und die nun teilweise wieder mogliche Kommunikation hat allerdings wenig Auswirkungen auf die Moglichkeiten der politischen Partizipation gezeigt. Im Gesundheits- und Sozialbereich sowie in der Klimapolitik wird die Expertise der CSOs von Seiten der Politik explizit angefragt und zum Teil berucksichtigt, in anderen Bereichen gibt es aber den Befragten zufolge wenig Partizipation. Interessant ist, dass sich die diesbezugliche Situation seit 2019 nur wenig verandert hat, dass die Zivilgesellschaft dies derzeit aber tendenziell eher zu akzeptieren scheint. Dies kann zum Teil auf die Pandemie zuruckgefuhrt werden. Insbesondere in den ersten Monaten der Krise gab es aufgrund der hohen Unsicherheit mehr Akzeptanz fur rasche, wenig inklusive und weniger transparente Entscheidungen. Weiters waren in dieser Zeit Organisationen des Gesundheits- oder Pflegebereichs bis an die Grenzen mit der Bewaltigung der stark gestiegenen Arbeitsanforderungen beschaftigt, sodass fur Advocacy oder Kritik weniger Zeit blieb. Die Regierungsbeteiligung der Grunen hat polarisierte Auswirkungen auf das kritische Potenzial. So sind CSOs teils weniger kritisch aufgrund von politischer oder auch personlicher Nahe und auch einer verstarkten Partizipation in den grun gefuhrten Ministerien. Teils aber fallt die inhaltliche Kritik, etwa an der Asylpolitik, durchaus scharfer aus, da Erwartungen enttauscht wurden. Mit zunehmenden Verlauf der Pandemie jedenfalls wurden Defizite der Partizipation deutlicher und starker kritisiert. Die Verkurzung von Begutachtungsfristen, welche die Moglichkeit von Stellungnahmen, Transparenz und Vertrauen einschrankte, etwa war nun nicht mehr mit der Dringlichkeit der Entscheidungen argumentierbar und Verordnungen, die die Grundrechte einschrankten, waren zum Teil heftig umstritten. Die Covid-19 Pandemie ist mit schweren Einschrankungen sowohl von Grund- und Menschenrechten als auch von burgerlichen Freiheiten verbunden. Ausgangsbeschrankungen und Abstandsregeln wirken sich auch auf die Versammlungsfreiheit aus. Diesbezuglich gab es im Jahr 2021 eine differenzierte Situation. Einerseits wurden zu Beginn der Pandemie mit dem Verweis auf die Gesundheitssituation Veranstaltungen beschrankt, was von Seiten der Zivilgesellschaft kritisiert wurde. Andererseits aber fanden unter Beteiligung rechtsradikaler Gruppen gegen Ende 2020 und im Jahr 2021 eine Reihe an teilweise untersagten Grosdemonstrationen gegen die Pandemie-Masnahmen statt, die ein hohes Mas an Gewaltbereitschaft aufwiesen, und bei deren Teilnehmer*innen sich teilweise nicht an die Pandemie-Verordnungen hielten. Dass diese Demonstrationen zwar untersagt, aber nicht aufgelost wurden wurde von der Bevolkerung und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft als irritierend erlebt. Es wurde zudem kritisiert, dass die Polizei bei diesen Versammlungen freundlicher vorging, als etwa bei kleineren Veranstaltungen von Schuler*innen gegen die Abschiebung von Kolleginnen. In Zusammenhang mit offentlicher Finanzierung standen im Bericht von 2019 politisch motivierte Kurzungen bei kritischen CSOs im Vordergrund. Dies war nun nicht mehr sichtbar. Allerdings waren die in den Jahren 2018/2019 erfolgten Kurzungen kaum zuruckgenommen worden. Ein entscheidender Faktor war der im Juni beschlossene NPO-Notfallfonds in Hohe von 700 Millionen Euro, der wesentlich dazu beigetragen hat, viele der CSOs finanziell abzusichern. In Bezug auf politische Inhalte wurden Hoffnungen der Zivilgesellschaft vor allem fur Verbesserungen im Asylbereich und in der Sozialhilfegesetzgebung enttauscht. Das ganze letzte Jahr war durch Covid-19 und dem Umgang mit der Pandemie dominiert und fuhrte zum Verschieben von anderen zukunftswichtigen Agenden, wie z.B. dem Kampf gegen die Klimakrise. Die Covid-19 Pandemie und die Masnahmen der Bundesregierung stellten die Zivilgesellschaft und die CSOs vor viele Herausforderungen und fuhrte bei ihren Akteur*innen zu erheblichen Belastungen. Es bleibt zu hoffen, dass die von der Regierung geplanten Vorhaben (z.B. Initiativen zur Freiwilligenarbeit im Jahr 2021) aufgenommen werden und Ausgaben fur das Auffangen der Nebenwirkungen der Pandemie nicht einem neuen Sparkurs zu Lasten der CS0s geopfert werden. Auch ist in vielen Bereichen der Gesellschaft ein neues Bewusstsein fur die Wichtigkeit von Freiheits- und Versammlungsrechten gewachsen. Das kann dazu fuhren, dass die Wichtigkeit der CSOs in der Zeit nach der Pandemie steigen kann, wenn es gelingt mehr Menschen fur ihre Anliegen zu mobilisieren. Methodische Grundlage der vorliegenden Erhebung bildeten erstens Literatur- und Dokumentenanalysen. Zweitens wurden zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 insgesamt 27 Interviews mit Vertreter*innen von Organisationen der Zivilgesellschaft (CSOs) gefuhrt.
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