DIE STELLUNG DES OSANNA IN BACHS H-MOLL-MESSE

2016 
Es gilt als eine feststehende Tatsache, das Bach in der h-moU-Messe entgegen dem gewohnlichen liturgischen Gebrauch das Osanna vom Sanctus abgetrennt und mit den restlichen Teilen des Ordinariums zu einem vierten Hauptteil der Messe vereint hat. Zum Beweis dient das Autograph, in dem vor jedem Teil ein Titelblatt eingefugt ist und das vierte die ensprechenden Angaben bringt. Als Erklarung fur diese ungewohnliche Einteilung gibt Friedrich Smend im Bachfest-Buch von 1934 an: „Die mit dem Osanna beginnenden Satze wurden in der Leipziger Abendmahlsfeier wahrend der Austeilungshandlung musiziert" (S. 65). Jedoch ist der Verfasser in seinem bekannten h-moll-Messe-Aufsatz (Bach-Jahrbuch 1937, S. 57) viel vorsichtiger. Hier heist es: „Von den Satzen Osanna bis Dona nobis pacem glaubt Spitta (II, 522), das sie wahrend der Kommunion musiziert worden seien". D.h. mit anderen Worten: Hier wird lediglich eine Vermutung ausgesprochen, deren Richtigkeit erst zu beweisen ware. Uns ist bisher nur bekannt, das das Osanna, wo es auf evangelischem Boden erscheint, fest zum Sanctus gehort. Wohl liegt Luthers „Jesaja, dem Propheten", seinem deutschen Sanctus, lediglich Jesaja 6 zugrunde; das bedeutet aber nicht, das das Osanna an eine andere Stelle des Gottesdienstes verwiesen wird; es fallt vielmehr damit ganz fort. So werden wir uns die einzelnen Sanctus-Vertonungen Bachs ebenfalls als verkurzte Stucke vorzustellen haben. Aber nicht nur etwa in der Missodia des Michael Praetorius (1613, Gesamtausgabe Band 11) zeigt sich ganz deutlich die Zusammengehorigkeit von Sanctus und Osanna im evangelischen Gottesdienst. Weit wichtiger ist die Feststellung, das im Leipziger Gesangbuch von Gottfried Vopelius (1682) im Anschlus an die Bemerkung, das an hohen Festen vor der Kommunion die Praf ation mit dem Sanctus gesungen wird, zwei chorale Fassungen des Sanctus mit Einbeziehung von Osanna und Benedictus neben einem sechsstimmigen figuralen ohne diese Stucke gebracht werden. Jedoch nicht nur liturgische Gesichtspunkte warnen vor einer allzu schnellen Folgerung, das Bach in der h-moll-Messe Sanctus und Osanna bewust getrennt habe, sondern vor allem musikalische. Osanna und das nachfolgende Agnus Dei stehen muikalisch im starksten Kontrast. Wohl kann man sich die Arie „Agnus Dei" als Musik sub communione vorstellen, aber schlechterdings nicht das achtstimmige Osanna mit vollem Orchester (das abschliesende „Dona nobis pacem" ist als Danksagung am Schlus des Abendmahls sinnvoll). Umgekehrt aber ist der musikalische Anschlus des Osanna an das „Pieni sunt coeli" denkbar eng, so das es unverstandlich ist, wie A. Schering eine grosere Pause zwischen diesen beiden Teilen der Hohen Messe vorschlagen konnte (Bachfest-Buch
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