Dresden, 25. und 26. November 2004: „Bernd Alois Zimmermann. Zeitauffassung und musikalische Poetik“
2016
Das Konzept einer „pluralistisch" geschichteten Zeit, die der irreversiblen Sukzession von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft enthoben ist, hat Bernd Alois Zimmermann selbst in den Mittelpunkt seiner musikalischen Poetik gestellt, und die Analytiker und Interpreten sind dieser auktorialen Deutung vielfach gefolgt. Dass der zeittheoretische Erklarungsansatz mit der bisher geleisteten Forschung keineswegs erschopft ist, hat das von Jorn Peter Hiekel (Dresden) organisierte, DFG -geforderte Internationale Symposium an der Dresdner Hochschule fur Musik gezeigt. Elf Vortrage, flankiert von wohltuend konstruktiven Diskussionen, eroffneten neue analytische und philosophische Zugange zu Zimmermanns vieldeutigem Werk und griffen dabei weit uber den Aspekt der Zeitauffassung hinaus. Jorn Peter Hiekel verortete in seinem einfuhrenden Vortrag Zimmermanns Zeitauffassung sowie dessen Konzept einer „auskomponierten Widerspruchlichkeit" in der Geistesund Kompositionsgeschichte des 20. Jahrhunderts und stellte wenig beachtete Bezuge zum Denken Igor Stravinskijs, Claude Debussy s, Theodor W. Adornos und Jan Patockas her. Die Spezifik von Zimmermanns Simultanund Zitattechniken arbeitete Christian Utz (Graz) anhand eines Vergleichs mit entsprechenden Verfahren bei Charles Ives heraus. Martin Kaltenecker (Paris) betrachtete Zimmermanns Montagetechnik im Licht von Jacques Rancieres Theorie des asthetischen Regimes und entwickelte daraus das Modell einer Komposition als „imaginarer Korper". In einem Podiumsgesprach sprachen die Komponisten Wilfried Kratzschmar und Dietrich Eichmann, die kurzfristig fur den erkrankten Hans Zender eingesprungen waren, uber Impulse von Zimmermanns Musikdenken fur das Komponieren der Gegenwart. Die weiteren Vortrage konzentrierten sich jeweils auf einzelne Werke bzw. Werkgruppen. Heribert Henrich (Berlin) berichtete uber das komplexe Geflecht von Eigenbearbeitungen und Selbstentlehnungen in Zimmermanns Fruhwerk und prasentierte in diesem Zusammenhang Materialien aus einem erst jungst aufgetauchten Quellenbestand. Einen neuen analytischen Zugang zu Zimmermanns Trompetenkonzert bot Lydia Weisgerber (Dresden), indem sie das Verfahren des Komponisten generativ als „Ubersetzung" von Elementen des Jazz in zwolf toniges „Milieu" beschrieb. Wolfgang Rathert (Munchen) stellte analytische Beobachtungen zu den Perspektiven vor und zeigte Parallelen zu Willi Baumeisters Theorie der abstrakten Kunst auf. Dem Zeitund Raumkonzept von Zimmermanns Soldaten naherte sich Martin Zenck (Bamberg) uber eine theatersemiotische Analyse von Harry Kupfers Stuttgarter Inszenierung und unter Einbeziehung neuerer Theorien zur Ontologie der Zeit und zur Verraumlichung des Wissens (Deleuze, Geertz, Bredekamp). Manuel Gervink (Dresden) unterzog das intertextuelle Bedeutungsnetz des choreographischen „Klaviertrios" Presence einer eingehenden Reflexion. Am Beispiel des Concerto pour Violoncelle et orchestre en forme de „pas de trois" demonstrierte Oliver Korte (Berlin), wie Zimmermann serielle Verfahren zur Generierung als Ganzes erfundener Klangbilder einsetzt, und verwies allgemein auf die Bedeutung der Kategorie des Klangs fur die pluralistische Musikkonzeption des Komponisten. Gerhard Winkler (Salzburg) schlusselte auf, wie in Intel 'comunicazione ein aus einer Zwolftonreihe ableitbarer, scherenartiger „Gestalt-Nukleus" auch auf andere Ebenen der formalen Gestaltung projiziert ist und wie Zimmermann hier serielles Denken mit Moglichkeiten primarklanglichen Komponierens vermittelt. Silke Wenzel (Hamburg) konnte schlieslich mit dem Befund aufwarten, dass in der Ekklesiastischen Aktion die in „Intervall und Zeit" aufgefuhrten
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