Glück und Unglück in einem serbischen Volksmärchen

2002 
Gluck und Ungluck haben von jeher eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen wie auch personlichen Leben der Menschen eingenommen. Kein anderes Gut wird von den Menschen als fur so erstrebenswert gehalten wie das Gluck, gleich, ob es sich dabei um materielles oder immaterielles Gluck handelt. Es ist jedoch unausweichlich, beim Gluck auch gleichzeitig das Ungluck mit einzubeziehen, denn Gluck gewinnt oft erst durch die Erfahrung eines Unglucks an Bedeutung. In der Literatur haben sich dabei besonders Marchen als herausragende Gattung hervorgetan, in der sowohl die positiven als auch negativen Seiten des Gluckszustandes die Hauptrolle spielen und oft sehr nah beieinander liegen. Im vorliegenden Artikel wird zunachst eine etymologische Analyse der Begriffe „Gluck“ und „Ungluck“ im slawischen Raum vorgenommen, um einen Zusammenhang zwischen der sprachlichen und kulturellen Komponente herstellen zu konnen. Anschliesend folgt eine Untersuchung des serbischen Volksmarchens „Božji sud“ [Das Gottesgericht], in der die slawischen Vorstellungen von „Gluck“ und „Ungluck“ verdeutlicht werden sollen. Hierbei zeigt sich, dass zahlreiche mythologische wie christliche Glucksvorstellungen ihre Gultigkeit bis heute nicht verloren haben. Es fallt in dem untersuchten Marchen auf, wie sehr sich Mythologie und Christentum miteinander verbinden lassen, was ein Vergleich zwischen vorchristlichen Elementen (Baum, Wasser, Getreide) und biblischen Elementen (Zahlen, Apfel, Gestalt des Erzengels) aufzeigt. Das Volksmarchen als Gattung bietet sich fur die Darstellung des Synkretismus besonders an, da es sowohl phantastische als auch Komponenten der alltaglichen Glaubens- und Lebenswelt der Protagonisten verbindet. Da Volksmarchen meist mundlich uber mehrere Generationen hinweg uberliefert werden, konnen sie in variierender Form in verschiedenen Volksgruppen einer Region auftreten. Grundelemente einzelner Marchen lassen sich demnach sowohl bei den Serben, als auch Bulgaren oder Rumanen wiederfinden. Dadurch lassen sich Charakteristika einzelner Kulturen und Regionen herausfiltern und konnen somit zu einem besseren Verstandnis der spezifischen Lebensumstande fuhren. Beim Marchen „Božji sud“ lasst sich besonders aufzeigen, dass der Volksglaube bei aller Bemuhung der christlichen Kirche nicht vollstandig verdrangt werden konnte. Volksglaube und christlicher Glaube bestehen vielmehr nebeneinander und vermischen sich. Dies lasst sich auch heute noch auf viele traditionelle Brauche und Rituale auf dem Balkan ubertragen, wo es auf den ersten Blick nicht immer ganz eindeutig ist, ob es sich dabei um christliche oder vorchristliche Elemente handelt.
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