Ausnahmezustand in Frankreich: Ist das Land nicht reformierbar?

2016 
Seit einiger Zeit haufen sich die Negativmeldungen uber Frankreich. Das Land leidet unter einer steigender Arbeitslosigkeit und anhaltenden Haushaltsdefiziten. Die EU droht wegen Uberschreitung der Maastricht-Kriterien mit Sanktionen, und die geplanten Arbeitsmarktreformen fuhrten zu massiven Streiks und Blockaden, die Frankreich erschutterten. Fehlt dem Land eine Kompromisskultur? Fur Henrik Uterwedde, Deutsch-Franzosisches Institut, Ludwigsburg, besteht kein Anlass fur Pessimismus. Er sieht zwar deutlich, dass Frankreich, dessen wirtschaftliche Dynamik und Leistungsfahigkeit sich seit uber zehn Jahren allmahlich, aber stetig verschlechtert hat, strukturelle Reformen und eine Erneuerung seines Wirtschafts- und Sozialmodells benotigt. Aber Frankreich bewege sich auch. In der Gesellschaft finde sich viel unternehmerische Dynamik, abzulesen an den zahlreichen Unternehmensgrundungen und Start-ups, und die Wirtschaft verfuge bei allen Problemen weiter uber ein starkes Potenzial. Nino Galetti, Konrad- Adenauer-Stiftung, Paris, und Tatjana Saranca, sehen in Frankreich »die am meisten unterschatzte grose Volkswirtschaft der Welt«. Beim Warenexport sei das Land nach wie vor weltweit Nummer 6, beim Export von Dienstleistungen belege es Rang 3, und nach dem Brexit werde Paris die EU-Hauptstadt mit der grosten Wirtschaftsleistung sein. Bei allen Schwachen habe Frankreichs Wirtschaft herausragende Starken. Fur Ronald Bachmann, RWI – Leibniz-Institut fur Wirtschaftsforschung, Essen, ergibt sich bei Betrachtung des franzosischen Arbeitsmarkts ein vielschichtiges Bild. Zwar gelang es in der Vergangenheit, partielle Arbeitsmarktreformen in Form eines Ausbaus von befristeter Beschaftigung durchzusetzen. Diese fuhrten jedoch nicht zum gewunschten Erfolg, dem Abbau der hohen Arbeitslosigkeit insbesondere von jungen Personen, sondern fuhrten vielmehr zum neuen Problem eines stark segmentierten Arbeitsmarkts. Die weitere kurzfristige Entwicklung sei nicht abzusehen. Nach Ansicht von Eckhard Wurzel, Universitaten Gottingen und Konstanz, tut sich Frankreich schwer mit Wirtschaftsreformen. Dies mag zum Teil noch das Nachklingen einer Tradition sein, die die Losung okonomischer Probleme vor allem in staatlichem Interventionismus suche. Das Land sei aber durchaus reformfahig, und die Rahmenbedingungen fur erfolgreiche Reformen konnten deutlich verbessert werden. Ronja Kempin und Aurora Bergmaier, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, sehen vor allem im Fehlen eines konstruktiven sozialen Dialogs in Frankreich einen Grund fur das Scheitern vieler politischer Reformvorhaben. Nur uber eine starkere Einbeziehung von Interessengruppen konne eine konstruktivere Partizipation der Burger am politischen Willensbildungsprozess erreicht werden. Daniela Schwarzer, German Marshall Fund, unterstreicht, dass die Reformbilanz des franzosischen Staatsprasidenten Francois Hollande insgesamt nicht so schwach ist, wie oftmals behauptet wird. Besorgniserregend sei aber, wie gros in den vergangenen Jahren die politische Zerrissenheit, Polarisierung und Radikalisierung vor dem Hintergrund einer tiefen gesellschaftlichen Krise geworden sei. Die Gefahr weiterer politischer Polarisierung und Radikalisierung bestehe weiterhin. Doch zeichne sich im Vorwahlkampf bereits ab, dass sich Erneuerungskrafte formieren und tradierte Strukturen aufbrechen konnten.
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