„stercus ex latrinis" - Die unappetitliche Nachnutzung von Schacht MR6/MR 32 in der Region 17C der Unterstadt von Augusta Raurica

2017 
Im vorliegenden Aufsatz werden die Ergebnisse der interdisziplinaren Auswertung der Verfullung von Schacht MR 6/MR 32 vorgestellt, der anlasslich der Lehrgrabung «Kaiseraugst-Auf der Wacht» (2011–2013. 001) in der westlichen Unterstadt von Augusta Raurica (Region 17C) entdeckt wurde. Der rund 4,2 m tiefe, trocken gemauerte Schacht MR 6/MR 32, dessen primare Verwendung (cella promptuaria? fossa nivalis?) nicht hinreichend geklart ist, wurde wahrscheinlich in flavischer Zeit errichtet und bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts wieder aufgegeben und verfullt (vgl. Schneider/Schwarz 2017 [in diesem Band]). Die archaologischen und mikromorphologischen Analysen haben gezeigt, dass es sich bei den unteren Fullschichten (Schichtpaket A) unter anderem um stercus, also um Fakalien handelt, die wahrscheinlich in kurzem zeitlichem Abstand nacheinander eingebracht worden sind. Die Latrinensedimente sind nicht in situ entstanden, sondern stam-men aus ausgeschopften Latrinengruben, die sich vermutlich in der naheren Umgebung von Schacht MR 6/MR 32 befanden. Zu einem geringeren Teil fanden sich in Schichtpaket A auch gewohnliche Haus-haltabfalle, wobei ungeklart bleibt, ob sich darin separate Entsorgungsvorgange widerspiegeln oder ob diese zusammen mit den Latrinensedimenten in den Schacht gelangt sind. Das Fundmaterial aus den unteren Fullschichten (Ensemble A) datiert nach Aussage der Keramik, der Kleinfunde sowie der Fundmunzen in die Zeit zwischen 70/80 und 120/140 n. Chr. Ensemble A um-fasst folglich Fundmaterial, das wahrend der ersten (altesten) zivilen Siedlungsphase der Unterstadt von Augusta Raurica in der Region 17C in den Boden gekommen ist. Wichtigstes Ergebnis ist die Feststellung, dass sich die von der alteren Forschung vertretene Unterscheidung in eine «reiche» Oberstadtund eine «arme» Unterstadt im archao(bio)logischen Fundmaterial aus Schacht MR 6/MR 32 nicht widerspiegelt. Im Gegenteil: Die Analyse des keramischen Fundmaterials, der Klein- und Grosstierknochen sowie der botanischen Makroreste hat gezeigt, dass die in der Umgebung von Schacht MR 6/MR 32 lebende Bevolkerung weitgehend romanisiert war und sich auch relativ vielseitig ernahrt hat. Fur eine gehobene Ernahrung sprechen unter anderem die hohen Anteile von Schwein und Huhn bzw. von Jungtieren sowie die nachgewiesenen Fischarten und die botanischen Makroreste. Unter letztgenannten fanden sich zahlreiche in Augusta Raurica auch sonst belegte Gemuse-, Obst- und Gewurzarten. Besonders hervorzuheben sind im vorliegenden Fall die eher seltenen Nachweise von Gurke, Gartenkresse und Schwarzkummel. Dass zwei «klassische Luxusindikatoren» – Austern und Mittelmeermakrelen – in Ensemble A fehlen, ist zwar erstaunlich, spricht aber nicht gegen eine Interpretation der Latrinensedimente als Relikte einer sozial gut gestellten Bevolkerung. Konkrete und weiterfuhrende Hinweise zum Gesundheitszustand der in der Region 17C lebenden Bevolkerung lieferte eine aus Schichtpaket A entnommene Sedimentprobe. Darin fanden sich zahlreiche Eier sowohl des Peitschen- als auch des Spulwurms; diese Wurmer verursachen unter anderem chronische Durchfallerkrankungen, die in der romischen Epoche weit verbreitet waren, und zwar – wie das vorliegende Beispiel zeigt – offensichtlich auch bei sozial besser gestellten Bevolkerungsschichten.
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