Der Herr, der Knecht und der Dritte: bei Hegel und nach Hegel

2010 
Macht ist eine konstitutive Dimension des Sozialen. Macht kann man nicht isoliert, fur sich allein haben. Wo sich Menschen zueinander verhalten, beziehen sie sich in ihrem Handeln auf das Handeln anderer: Wo immer soziale Beziehungen sind, ist auch die Moglichkeit von Macht mitgegeben. „Wer Macht sagt, sagt auch Gesellschaft, doch wer Gesellschaft sagt, sagt immer auch Macht“ (Sofsky/Paris 1994: 9). Auch der Dritte ist eine grundlegende Dimension von Sozialitat. Anders als die Kategorie der Macht ist die des Dritten erst in jungerer Zeit zum Gegenstand sozialtheoretischer Uberlegungen geworden. Die ‚Ur‘- Szenen ganz unterschiedlicher Sozialtheorien des 19. und 20. Jahrhunderts waren meist dyadisch organisiert: Selbst und Anderer, Identitat und Alteritat, ego und alter ego, Ich und Du, Sender und Empfanger, Herr und Knecht oder Proletariat und Bourgeoisie – das sind nur einige der dyadisch verstandenen Grundinstanzen unterschiedlicher Theorien des Sozialen. Ob die jeweilige Sozialtheorie das Ausgangsszenario des Sozialen nun im Tausch oder im Kampf, im Vertrag oder im Dialog, in der Interaktion oder in der Kommunikation sah – die zugrunde liegende Struktur war meist dyadisch angelegt. Erst im 20. Jahrhundert tauchte der Dritte als eine grundlegend neue Instanz auf: etwa in der Soziologie Simmels, im Existenzialismus von Jean-Paul Sartre, in den psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud und Jacques Lacan, oder in den poststrukturalistischen Ansatzen von Emmanuel Levinas oder Michel Serres. Der Stellenwert des Dritten zeigte sich unter anderem in der Fulle neuer Merkmale und Qualitaten, die im Horizont der dualen Situation von ‚Ich‘ und ‚Du‘ nicht gedacht werden konnten. In diesem Sinne ist der Dritte kein anderer Anderer: er ist keine Wiederholung des alter ego. Ob als Zuschauer, Beobachter, Voyeur oder Zeuge; als Ubersetzer, Bote oder Dolmetscher; ob als Verbundeter oder Delegierter (oder auch als Intrigant oder Verrater); ob als Richter oder Vermittler (oder auch als Sundenbock) – in all diesen unterschiedlichen Figuren des Dritten zeigt sich eine soziale Logik, in der der Dritte nicht einfach ein weiterer Anderer ist, in der auf den Dritten aber auch nicht einfach ein Vierter oder Funfter folgen konnte.
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