Pflanzenschutz und Biodiversität in Agrarökosystemen

2020 
Der Wissenschaftliche Beirat des Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) berat das Bundesministerium fur Ernahrung und Landwirtschaft (BMEL). Er hat zu den Wirkungen des Pflanzenschutzes auf die Biodiversitat in Agrarokosystemen Stellung genommen. Die vorliegende Publikation beruht auf dieser Stellungnahme. Pflanzenschutz ist ein ertrags- und qualitatssichernder Faktor im Ackerbau und in noch groserem Mase in Sonderkulturen. Globale Meta-Analysen und Expertenauswertungen schatzen den potentiellen Ertragsausfall durch Schadorganismen je nach Nutzpflanze zwischen 17 und 40 % ein. Dieser wird mit direktem chemischen, biologischen oder physikalischen Pflanzenschutz und mit indirekten vorbeugenden, systembezogenen Masnahmen verringert. Unter den vielen Wirkungen von Pflanzenschutzmitteln ist diejenige auf die Biodiversitat eine schwer zu fassende. Die derzeitige intensive, betriebswirtschaftlich optimierte und international wettbewerbsfahige Landwirtschaft verandert multikausal die Landschafts- und Lebensraume, reduziert die Vielfalt der naturlichen Habitate und Agrarokosysteme, und wirkt sich damit negativ auf die Biodiversitat vieler Artengruppen aus. Zudem beeinflusst auch der Klimawandel die Biodiversitat in der Agrarlandschaft negativ. Der Ruckgang der Biodiversitat in der Agrarlandschaft ist markant. So haben Schmetterlings- und Vogelpopulationen seit 1990 bzw. 1980 um 50 % und die Biomasse der fliegenden Insekten seit 1989 um 75 % abgenommen. Arten- und Individuen-Anzahlen von Ackerwildkrautern, Amphibien, Fischen, empfindlichen Wirbellosen in Gewassern, Wildbienen, Schwebfliegen, Laufkafern, Marienkafern und vielen weiteren Organismengruppen nehmen ab. Von den 14 unmittelbar nutzungsabhangigen Offenland-Biotoptypen sind in Deutschland 80 % gefahrdet. Weitere Lebensraume (Moore, Wald- und Ufersaume, Staudenfluren etc.) werden durch die landwirtschaftliche Nutzung in der Umgebung beeintrachtigt. Direkte und indirekte Wirkungen von Pflanzenschutzmitteln werden durch eine grose Zahl von wissenschaftlichen Studien in Deutschland und im europaischen Umfeld dokumentiert. Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (Insektizide, Fungizide, Herbizide) stellt in dem komplexen Gesamtsystem von Faktoren einen bedeutenden Einflussfaktor mit meistens signifikant negativen in Ausnahmefallen jedoch auch positiven Auswirkungen auf die Biodiversitat in Agrarokosystemen dar. Pflanzenschutzmittel gelangen in und auf Pflanzen, Tiere und Boden, in die Atmosphare sowie in Gewasser und Grundwasser; sie entfalten ihre schadlichen Nebenwirkungen in kurzen, aber auch sehr langen Zeitraumen. Sie konnen direkte toxische Wirkungen auf Nichtzielorganismen hervorrufen und indirekt Nahrung und Lebensraume einer Vielzahl von Organismen reduzieren. Hinzu kommen kumulative und sequenzielle Wirkungen, da Pflanzenschutzmittel haufig gemeinsam angewandt werden und eine kombinierte Wirkung von Umweltstressoren und Pflanzenschutzmitteln insbesondere bei Anwendung im Freiland relevant wird. Der Wissenschaftliche Beirat NAP schlagt daher folgende Masnahmen fur einen zukunftsfahigen Pflanzenschutz vor: 1. Die weitere Entwicklung der Biodiversitat soll durch die Einfuhrung eines reprasentativen, umfassenden und auf die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln ausgerichtetes Langzeit-Biodiversitats-Monitorings standardisiert beurteilt werden. 2. Das Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln soll auf mogliche Lucken bei der Beurteilung von Wirkungen auf die Biodiversitat auf der Basis des neusten Wissensstands uberpruft werden, und diese Erkenntnisse sollen in die Novellierung des europaischen Zulassungsrechtes eingebracht werden. 3. Es sollen positive und negative Anreize fur die landwirtschaftliche Praxis geschaffen werden, um die Anwendung von Pflanzenschutzmittel in der Praxis zu reduzieren. Dazu soll auch eine Abgabe auf Pflanzenschutzmitteln gepruft werden, und mittelfristig soll ein wissenschaftlich basiertes System der Internalisierung der Umweltkosten (True Cost Accounting) vorgeschlagen werden. 4. Integrierte Pflanzenschutzverfahren sollen durch Forschung und Beratung weiter gestarkt, in der Zuchtung soll ein Schwerpunkt auf Schaderregertolerante oder -resistente Sorten gelegt wer¬den. 5. Die Rahmenbedingungen fur den Okologischen Landbau sollen weiter verbessert werden, um das Ziel der Bundesregierung, seinen Flachenanteil auf 20 % auszudehnen, moglichst schnell zu erreichen. 6. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der Agrarumweltmasnahmen (ELER) sollen in deutlich groserem Umfang als bisher vielfaltige Landschaftselemente, Habitate und in die Produktionsflache integrierte okologische Vorzugsflachen und Pufferzonen gefordert werden.
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