Locarno, 3. bis 5. Oktober 1991: Ruggero Leoncavallo nel suo tempo

2016 
Als vor drei Jahren die Kantonsbibliothek von Locamo Teile des Nachlasses von Ruggero Leoncavallo erwarb, wurde durch die Schaffung eines internationalen wissenschaftlichen Beirates unter Leitung von Jurgen Maehder (Berlin) eine Institution geschaffen, die zu einem Zentrum fur die wissenschaftliche Erforschung dieses vernachlassigten Komponisten zu werden verspricht. In Zusammenarbeit mit dem Puccini Research Center der Freien Universitat Berlin fand Anfang Oktober in Locarno der erste ganz dem Schaffen Ruggero Leoncavallos gewidmete Kongres statt. Angesichts der noch wenig differenzierten Forschungslage war der thematische Rahmen des Kongresses weit gesteckt und bot Raum fur die verschiedenartigsten Fragestellungen. Nach einem Eroffnungsvortrag von Mario Morini (Mailand), der das Verhaltnis Leoncavallos zu dem Pisaner Bariton Titta Ruffo vor allem in seiner Bedeutung fur die Entstehung seiner Oper Edipo Re beleuchtete, stellte Julian Budden (London/ Florenz) ein Korpus von bisher unbekannten Briefen Leoncavallos aus den Jahren 1876/77 vor, die neues Licht auf dessen fruhe Kompositionstatigkeit werfen. Adriana Guarnieri Corrazol (Florenz) versuchte auf der Basis jungster literaturwissenschaftlicher Studien das Verhaltnis von literarischem und musikalischem Verismo zu klaren und sprach damit ein grundsatzliches Problem an, das gerade durch die intensivere Beschaftigung mit Leoncavallo und seinem kulturellen Umfeld neue musikhistorische Perspektiven verspricht. Unter dem Aspekt einer veris tischen Asthetik unterzog Matteo Sansone (Florenz) Leoncavallos Zaza und Giordanos Fedom einem Vergleich. Roger Parker (Ithaca/NY) befaste sich mit der formalen Gestaltung von Leoncavallos Boheme und hob das technische Raffinement des Werkes hervor. Den Stilpluralismus dieser Oper ruckte Jurgen Maehder (Berlin) in den Mittelpunkt seines Beitrages und stellte die ausgepragte Zitattechnik als asthetisches Dilemma der italienischen Fin-de-siecle-Komponisten dar. Interessante Beobachtungen konnte Carlo Piccardi (Lugano) zum Komplex der „Theater-im-Theater" -Szenen machen, die Leoncavallos Werk durchziehen und auch als instrumentale „Pantomimen" nachweisbar sind. Der unvollendet gebliebenen Trilogie Crepusculina, mit der Leoncavallo ein italienisches Gegenstuck zu Wagners RingTetralogie zu schaffen gedachte, waren zwei Referate gewidmet. Wahrend William Ashbrook (Terre Haute/IN) sich auf die Libretto Strukturen konzentrierte und auch die vom Komponisten verfasten Libretti zu seinen Opern Chatterton und Der Roland von Berlin einbezog, umris Luca Zoppelli (Venedig/Lecce) den geistesgeschichtlichen Hintergrund des Werkes und unterzog die heterogenen stilistischen Ebenen der Oper einer eingehenden Analyse. Emilio Sala (Urbino) verglich die Urauffuhrungs-Inszenierung von Leoncavallos Boheme 1897 in Venedig mit der Pariser Erstauffuhrung; fur beide Inszenierungen sind Dokumente zur Regie in Gestalt von livrets de mise en scene erhalten. In einem breit konzipierten Ansatz behandelte Mercedes Viale Ferrero (Turin) Charakteristika der Inszenierungskunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schlieslich steuerte Sergio Martinotti (Mailand) eine Untersuchung zum Liedschaffen Leoncavallos bei, das stark durch Robert Schumann inspiriert erscheint. Insgesamt wurde deutlich, das die Auseinandersetzung mit Leoncavallos Werk eine in mancher Hinsicht differenziertere Sicht auf die italienische Oper seiner Zeit zu eroffnen vermag, und man darf gespannt sein, welche Ergebnisse die folgenden Kongresse zeitigen werden; der nachste Kongres zu Librettistik und Theaterasthetik Leoncavallos ist fur September 1993 geplant.
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