Bürgerschaftliches Engagement in ländlichen Räumen: Politische Hoffnungen, empirische Befunde und Forschungsbedarf

2019 
Der Begriff des "burgerschaftlichen Engagements" wird in der einschlagigen Fachliteratur und im politischen Diskurs nicht einheitlich verwendet. Einer breiteren Definition folgend verstehen wir darunter "ein freiwilliges, gemeinwohlorientiertes und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtetes Engagement", das "die ganze Breite der verschiedenen Erscheinungsformen des Engagements ein[schliest]: das klassische Ehrenamt, gemeinnutziges Engagement ohne Amt, kurzzeitiges ungebundenes Engagement sowie bestimmte Formen der Selbsthilfe" (Deutscher Bundestag 2002: 333).1 Das burgerschaftliche Engagement hat in landlichen Raumen eine lange Tradition, und vor allem die Politik setzt darin einige Hoffnungen. Dahinter steht ein Ideal von der Selbstorganisation der Burgerinnen und Burger, welche offentliche Dienstleistungen substituiert, die Gesellschaft sozial integriert und die Qualitat der Demokratie fordert. In unserem Beitrag wird danach gefragt, inwiefern solche Hoffnungen und Idealisierungen der Selbstorganisation an praktische Grenzen stosen. Denn periphere landliche Raume leiden haufig an fehlenden finanziellen Gestaltungsspielraumen und den Folgen des demographischen Wandels. Ebenso ist Selbstorganisation kein Selbstlaufer, sondern bedarf staatlicher Unterstutzungsstrukturen. Des Weiteren folgt das burgerschaftliche Engagement einer Eigenlogik, die es zu respektieren gilt. Uberdies tendiert zivilgesellschaftliche Selbstorganisation zu sozialer Selektivitat und auch soziale Integration ist nicht selbstverstandlich. Schlieslich hangt die demokratiefordernde Wirkung burgerschaftlichen Engagements von der Zusammensetzung der Vereinigungen und deren innerer Ausrichtung ab. Aufgrund der verschiedenen Konzeptualisierungen burgerschaftlichen Engagements, unterschiedlicher Operationalisierungen zu dessen Messung und unzureichender Datenquellen, ist die quantitative Bestimmung des burgerschaftlichen Engagements in landlichen Raumen schwierig. Sicher scheint jedoch, dass das burgerschaftliche Engagement im Laufe der letzten Jahrzehnte sowohl in landlichen als auch in anderen Raumen weitgehend kontinuierlich zugenommen hat. Es zeigt sich auserdem, dass die Burgerinnen und Burger in landlichen Raumen sich regelmasig starker engagieren als jene in anderen Raumen. Unterschiede zeigen sich auch zwischen sozialen Gruppen: Manner sind sowohl in landlichen wie auch in nicht-landlichen Raumen starker in freiwillige Tatigkeiten eingebunden als Frauen, wobei die Geschlechterunterschiede in landlichen Raumen deutlich langsamer abnehmen. Jungere Altersgruppen sind in landlichen Raumen zu hoheren Anteilen freiwillig engagiert als die alteren Altersgruppen. Auf der Kontextebene zeigt sich,dass eine hohere regionale Arbeitslosigkeit typischerweise mit einer niedrigeren Engagement-quote einhergeht. Der empirische Forschungsstand weist insgesamt erhebliche Forschungslucken auf. Forschungsbedarf besteht vor allem im Hinblick auf die deskriptive Erfassung der Vereinslandschaft in landlichen Raumen, die Erfassung neuer Formen des Engagements sowie moglicher Verschiebungen in der Engagementlandschaft, der Einschatzung der Bedeutung von Vereinen und Initiativen fur die landlichen Gemeinwesen und die Erforschung von strukturellen und kulturellen Bedingungen burgerschaftlichen Engagements.
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