Verfremdendes Zeigen: Brechts lyrischer Gestus

2012 
Bertolt Brecht hat als Schopfer eines neuen Theaters, das er anti-aristotelisch oder episch nannte, Beruhmtheit erlangt: Er ubte mit seinen Stucken, seiner Inszenierungspraxis und seinen theoretischen Abhandlungen einen kaum zu uberschatzenden Einfluss auf das gesamte Theaterschaffen der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts aus und gehort bis in die Gegenwart zu den meistgespielten Buhnenautoren der Welt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sein lyrisches Werk, das weit uber zweitausend Texte umfasst und in der heute masgeblichen Ausgabe funf stattliche Bande fullt, lange im Schatten der Arbeiten fur das Theater stand. Allerdings gab es schon immer vereinzelte Stimmen, die sich fur eine andere Wertung und Gewichtung aussprachen. So erklarte Hannah Arendt bereits 1950: »Ich habe keinen Zweifel daran, das Bertolt Brecht der groste lebende deutsche Lyriker ist«, um dann, weiter ausgreifend, aber zugleich vorsichtiger fortzufahren: »Vielleicht ist er auch der groste lebende europaische Dramatiker.«1 1978 uberschrieb Walter Hinck sein Vorwort fur eine Sammlung von Interpretationen zu Brecht-Gedichten mit der programmatischen These: »Die Stunde der Lyrik Brechts ist (endgultig) gekommen«2, und knapp zwanzig Jahre spater wagte Marcel Reich-Ranicki sogar die Prognose: »Bleiben wird von Bertolt Brecht vornehmlich die Lyrik.«3 In der Brecht-Forschung sind zwar nach wie vor die Arbeiten zum ›Stuckeschreiber‹ bei weitem in der Uberzahl, doch von einer Vernachlassigung der Lyrik kann langst keine Rede mehr sein. Das Interesse an ihr hat vor allem seit den siebziger Jahren in einem solchen Mase zugenommen, dass die Fulle der einschlagigen wissenschaftlichen Beitrage mittlerweile kaum noch zu uberblicken ist.4
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