"theoretisch gibt es die Freiheit, aber praktisch hat man keine Zeit dafür"

2008 
Die postsozialistische Transformation in Tschechien wird hier am Beispiel der Veranderung der Zeitverwendung im Lebensalltag von Prager Frauen mittels Anwendung von qualitativen Methoden untersucht und versucht die besonderen Aspekte so gegenstandsnahe als moglich hervorzubringen. Die Interviewpartnerinnen wurden so ausgewahlt, dass sie beide Systeme – das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell des Staatssozialismus einerseits, und das des Kapitalismus und der neoliberalen Marktwirtschaft andererseits – miterlebt haben und sie so miteinander vergleichen konnten. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt an der Schnittstelle zwischen Postsozialismusforschung und dem Forschungsgegenstand der gesellschaftlichen Zeitverwendung. Es wurde davon ausgegangen, dass durch die Untersuchung der Zeitverwendung eine zusatzliche Metaebene der Macht in der Gesellschaft offen legt. Im Weiteren wird das Themenfeld der Anthropologischen Postsozialismusforschung umrissen. Um die Konsequenzen des Staatssozialismus historisch rekonstruierbar zu machen, wird auf den Zusammenbruch dieses Systemtyps in Osteuropa eingegangen und im Abschnitt „Gender, Frauen und Feminismus in Tschechien“ wird der feministische Aspekt dieser Arbeit betont, welcher wieder zu den zentralen Erkenntnissen der hierarchischen Machtkonstellationen zuruckfuhrt. Es wird dargestellt, wie Frauen Tatigkeiten die sie im Alltag verrichten und den damit in Verbindung stehenden Arbeitsaufwand einschatzen und bewerten. Es wird ein Augenmerk auf die Frage nach der „work-life balance“, sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelegt und ebenso der Frage nach der „time powerty“, die vor allem Frauen betrifft, nachgegangen. Zudem wird der Blick auf die zentrale Forschungsfrage nach der Veranderung im Lebensalltag der Interviewpartnerinnen in den vergangenen zwanzig Jahren gerichtet. Einerseits wird die Darstellung der Veranderungen und Bruche, die mit der biographischen Entwicklung und personlichen Zeitverwendung der Interviewpartnerinnen vorgenommen. Andererseits werden Veranderungen beschrieben und begrifflich herausgearbeitet, die auf den Systemwechsel zuruckzufuhren sind, wie beispielsweise die erheblichen Veranderungen in der Arbeitswelt. So gehort seit dem Systemwechsel die Vollbeschaftigung von Mannern und Frauen der Vergangenheit an, sie wurde von Unsicherheit am Arbeitsmarkt, Verlust der sozialen Sicherheit sowie Flexibilisierung und Liberalisierung abgelost. Es wird von einer erheblichen Beschleunigung gesprochen. Die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit gestaltet sich seit den gesellschaftlichen und politischen Umbruchen deutlich schwieriger. Gleichzeitig sind die Anforderungen im Arbeitsleben bei Mannern und Frauen gestiegen. Die Geschlechtertrennung der Aufgaben hat sich in den Prager Haushalten zum Nachteil der Frauen verandert und da Frauen den Grosteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung leisten, konnen sie schwerer den gestiegenen Belastungen am Arbeitsmarkt standhalten. Sie sind dadurch nicht im gleichen Mase wettbewerbsfahig wie ihre mannlichen Kollegen. Vor allem im reproduktiven Alter kommt es zu einer Diskriminierung der Frauen im Arbeitsleben. Nachgewiesener Weise verfugen sie auserdem uber weniger Freizeit als ihre mannlichen Altersgenossen oder Lebenspartner. Die Freizeitgestaltung ist einer Kommerzialisierung unterworfen und es wird zunehmend von einem Kreislauf von Arbeit und Konsum gesprochen.
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